Foren und Boards

Dieser Artikel wurde im Original am 17.03.2002 als SELFHTML Feature-Artikel veröffentlicht:

Diskussionskultur im Internet und im WWW

Einer der entscheidenden Vorteile des Internets gegenüber Broadcasting-Medien wie Fernsehen, Rundfunk oder Zeitung ist die Möglichkeit des direkten Beitragens von Inhalten oder Feedback. Viele Dienste im Internet dienen denn auch der direkten Kommunikation zwischen Menschen: E-Mail, IRC-Chat und Usenet (Newsgroups) sind die klassischen Dienste für Direktkommunikation. Das World Wide Web hingegen wurde ursprünglich eher im Sinne eines Broadcasting-Mediums konzipiert. Seine Aufgabe sollte sein, auf Web-Servern Informationen weltweit bereitzustellen. Zwar wurde auch bei der Konzeption des Web der netzdemokratische Gedanke verfolgt, indem erstens jeder Netzteilnehmer mit etwas vertretbarem Aufwand eigene Informationen im Web bereitstellen kann, und indem zweitens Hypertextfunktionalität eingebaut wurde, was das beliebige Vernetzen von Web-Inhalten erlaubt. Doch vom Typ her waren die drei Säulen des Web, also HTML, HTTP und das URI-Schema, eher für Informationsbereitstellung als für Kommunikation ausgelegt.

Mittlerweile haben jedoch immer mehr Anbieter von Web-Angeboten erkannt, wie wichtig der Betrieb einer ins Web-Angebot integrierten Diskussionsplattform sein kann. Der Grund ist vor allem, dass eine Diskussionsplattform, die auch tatsächlich von den Besuchern genutzt wird, automatisch für laufend neue Inhalte im Web-Angebot sorgt. Durch ihre Beiträge bereichern die Diskutierenden das Gesamtangebot, und vor allem kommen die Diskutierenden regelmäßig wieder, um die Diskussionen, in denen sie aktiv sind, oder neue Diskussionen zu verfolgen und weitere neue Inhalte beizutragen. Gut besuchte und gepflegte Diskussionsorte entwickeln auch schnell ein gewisses Suchtpotential bei den Besuchern. Ähnlich wie Kneipen zu Stammkneipen werden, prägen regelmäßige Teilnehmer irgendwann den Charakter und das Niveau der Diskussionen. Nicht selten entstehen auch richtige Communities, deren Mitglieder schließlich über verschiedene Medien miteinander kommunizieren oder sich auch im "Real Life" treffen.

Um auf den eigenen Webseiten eine erfolgreiche Diskussionsplattform zu betreiben, sind zunächst einmal ein gewisser Traffic sowie organisatorische und menschliche Betreiber-Kompetenz erforderlich. Mehr über diese Aspekte verrät der Arikel Ein Forum, ein Forum - ein Königreich für ein Forum von Astrid Steinmann. Doch daneben stellt sich auch die Frage der technischen Realisierung. Eine Software für Diskussionsplattformen muss server-seitig laufen, da die Beiträge aller Diskutierenden zentral gespeichert und zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Software-Realisierung erfolgt z.B. als CGI-Anwendung in Sprachen wie Perl, C oder Python, oder als PHP-, ASP- oder JSP-Lösung. Bei hohem Teilnehmerandrang muss eine solche Software hohe Anforderungen an Laufstabilität und Effizienz bei Datenhaltung und Speicherung erfüllen. Genauso wichtig ist jedoch die Art, wie den Diskussionsteilnehmern der Diskussionsort präsentiert wird. Denn so wie er präsentiert wird, ist die geistige Vorstellung, die sich die Teilnehmer von dem "Ort des Geschehens" machen. Dieser Aspekt, also die Modellierung des Diskussionsortes, ist Gegenstand des vorliegenden Artikels.

Bei der Modellierung von web-basierten Diskussionsplattformen haben sich mittlerweile zwei Modellierungstypen durchgesetzt: Foren und Boards. Die beiden Begriffe werden hier idealtypisch zur Unterscheidung verwendet. In der Praxis werden sie dagegen meist unreflektiert verwendet, vor allem auch deshalb, weil es bislang nur wenige Reflexionen zu ihrer begrifflichen Unterscheidung gibt. So sind die Foren der meisten Anbieter, die von Foren reden, gar keine Foren, sondern Boards. Umgekehrt gibt es auch Anbieter, die von Message Boards reden, obwohl sie eigentlich ein richtiges Forum anbieten.

Hinter Foren und Boards verbergen sich einerseits technische Unterschiede in der Datenhaltung, aber auch Unterschiede in der Vorstellung davon, wie typische Diskussionen ablaufen. Ob ein Betreiber, der sich für die Installation des einen oder des anderen Modellierungs-Typs entscheidet, diese Dinge bewusst macht, steht auf einem anderen Blatt. Die folgenden Abschnitte dieses Artikels wollen jedoch dazu beitragen und stellen beide Modelle vor. Dabei soll verdeutlicht werden, welche Vorstellungen mit welchem Modellierungs-Typ verbunden sind. Im abschließenden Plädyoyer wird insofern Stellung genommen, als für das, was man unter "Diskussionskultur" versteht, eigentlich nur der Modellierungstyp des Forums geeignet ist. Boards haben andere Aufgaben und sollten im Sinne der Aufgabenstellung eingesetzt werden.

Das Modell der Foren

Die gedankliche Basis-Einheit eines Forums ist der so genannte Thread. Dieses englische Wort, das etymologisch mit dem deutschen Wort Draht verwandt ist, lässt sich heute ins Deutsche je nach Kontext mit Faden, Kette, Garn oder Gewinde übersetzen. Auf eine Diskussion übertragen, bezeichnet es den Diskussionsfaden oder die Verkettung aller Beiträge zu der betreffenden Diskussion. Wichtig ist dabei die Eigenschaft, dass es zwar letztlich nur einen Faden gibt, aus dem die gesamte Diskussion gestrickt ist. Doch das Strickgeflecht, die Art der Verkettung kann sehr informell sein. Garn, Draht, Schnur und Seil ist biegsam. Es lassen sich kunstvolle Knoten damit knüpfen (Seefahrt, Krawatten). Das Herstellen jeglicher Bekleidung basiert auf dem Verflechten von natürlich oder künstlich gewonnenem Garn zu Gewebe. Ein Thread ist ein langer, biegsamer technischer Grundstoff, aus dessen Verflechtung und Verknotung etwas neues Ganzes entsteht. Bei einem Thread ist es gar nicht so wichtig, wie der Anfang aussieht. Wichtig ist, welchen Weg der Faden nimmt, durch welche Ösen er geht und welches Gewebe oder welche Strukturen er dadurch erschafft.

Auch Diskussionen haben solche Strukturen. Im Gegensatz zu gewebeschaffenden, regelmäßigen Geflechten (wie etwa beim Stricken, Häkeln oder Nähen) bilden die Threads einer Diskussion ganz unterschiedliche Verkettungen aus. Die Struktur ergibt sich aus den Impulsen, die von einzelnen Postings innerhalb des Threads ausgeht. Provokative Postings regen zum Widerspruch an, einseitiger Widerspruch zu weiterem Widerspruch. Viele Postings bewirken auch Seiteneffekte, indem eine Antwort nicht mehr auf das vordergründige Thema eingeht, sondern auf ein scheinbar nebensächliches Detail. Dieser Effekt wird als Thread-Drift bezeichnet. Die Thread-Drift gehört zu lebendigen Diskussionen dazu und ist in keiner Weise schädlich.

Wer sich in eine bereits laufende Diskussion einschalten möchte, für den ist es erst mal wichtig, sich ein Bild von der bisherigen Diskussion zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass dem willigen Teilnehmer die bisherige Diskussion in geeigneter Form visualisiert wird. Eine Visualisierung könnte beispielsweise grafisch sein und mit Hilfe von Linien zeigen, welcher Impus (d.h. welches Posting) von welchem abhängt. Ein einfaches Beispiel, das einen Thread mit 9 Postings annimmt, soll dies verdeutlichen.

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Abbildung 1: grafische Darstellung eines Threads

In dem Beispiel ist erkennbar, dass die Postings 2, 3 und 4 unmittelbare "Antworten" (in der Foren-Fachsprache Follow-Ups genannt) auf den Startimpuls, das Ausgangs-Posting mit der Nummer 1, sind. Auf Posting 2 ist Posting 7 eine Antwort, auf Posting 4 antworten Posting 8 und 9, und auf Posting 3 die Postings 5 und 6. Die schwarzen Rechtecke in einer solchen grafischen Darstellung könnten beispielsweise anklickbar sein, um das betreffende Posting zu lesen.

So spannend eine grafische Darstellung wie in Abbildung 1 auch sein mag - für größere Threads mit beispielsweise 50 und mehr Postings wird sie schnell unübersichtlich. Als Darstellungs-Metapher, die dieses Problem löst, hat sich die so genannte Baumdarstellung etabliert. Das obige Beispiel könnte in der Baumdarstellung folgendermaßen abgebildet werden:

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Abbildung 2: Darstellung eines Threads als Baumstruktur

Die Baumdarstellung sorgt also für eine relativ ordentliche Abbildung der Struktur. Nun kommt jedoch noch eine weitere Komponente ins Spiel, nämlich die zeitliche. Im Beispiel stehen die Ziffern 1 bis 9 für die zeitliche Reihenfolge, in der die Postings abgesetzt wurden. Das Ausgangsposting 1 ist logischerweise immer das älteste Posting eines Threads. Posting 9 wäre dann das jüngste Posting im Beispiel. Bei der Darstellung zeitlicher Informationen hat es sich jedoch eingebürgert, dass die jüngsten Einträge immer oben stehen. Deutlich wird das beispielsweise an einem Informationsangebot wie dem SELFHTML-Weblog. Wenn dort die neuesten Einträge immer unten stehen würden, so würde das von den meisten Lesern wohl als völlig widernatürlich und nicht gerade sehr intelligent empfunden werden. Da nun aber auch Diskussionen von Neuigkeiten leben, wird dort ebenfalls versucht, das Prinzip des newest on top anzuwenden. Einfach ist das bei Threads insgesamt. Ein Thread mit einem neueren Ausgangsposting wird in der Gesamtübersicht der Threads oberhalb eines Threads mit einem älteren Ausgangsposting dargestellt. Der Thread mit dem jüngsten Ausgangsposting steht dann also ganz oben und rutscht immer tiefer, wenn neue Threads mit noch jüngerem Ausgangsposting eröffnet werden. Doch damit nicht genug. Auch innerhalb eines Threads wird das Prinzip des newest on top angewendet. Dabei ist "on top" allerdings relativ zu verstehen. Denn die Struktur, welches Posting eine Antwort auf welches andere darstellt, soll ja erhalten bleiben. Deshalb werden neue Postings relativ innerhalb ihrer Hierarchieposition so weit wie möglich oben eingeordnet. Bei Postings, die auf gleicher Ebene im gleichen Ast des Baums liegen, kommt das neueste Posting an die erste Stelle innerhalb des Astes. Bei Anwendung dieses Prinzips ergibt sich im obigen Beispiel folgende Abbildung:

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Abbildung 3: Darstellung eines Threads als Baumstruktur und zeitlicher News-on-top-Einordnung

Beim Vergleich mit Abbildung 2 weiter oben zeigt sich, dass auf der zweiten Hierarchie-Ebene die Reihenfolge 2-3-4 in 4-3-2 verkehrt wurde, da Posting 4 jünger als Posting 3 ist und dieses wiederum jünger als Posting 2. In den weiteren Hierarchiestufen wird für jeden Ast das gleiche Prinzip angewendet. Posting 9 wird, weil jünger, oberhalb von Posting 8 eingeordnet, und Posting 6 über Posting 5.

Diese Abbildungsmethode ist zwar nachvollziehbar und natürlich, führt aber in der Praxis durchaus auch mal zu intuitiven optischen Missverständnissen. So erscheint Posting 7 in der strukturell-zeitlichen Baumdarstellung des Beispiels nun als ziemlich alt, weil es das unterste in der Abbildung ist. Dies ist jedoch nicht der Fall - in Wirklichkeit ist es relativ jung, denn nur zwei Postings im Thread jünger, während 6 Postings älter sind. Und - die Ironie des Prinzips - das älteste Posting, also das Ausgangsposting, bleibt das oberste, obwohl dies dem Prinzip des newest on top völlig widerspricht. Die optischen Widersprüche ergeben sich aus dem Kompromiss zwischen dem Erhalt der logischen Follow-Up-Struktur und dem zeitlichen newest-on-top-Prinzip. Um die Darstellung stärker im Sinne der zeitlichen Komponente und des newest-on-top-Prinzips zu lösen, könnte die Darstellung auch wie ein natürlicher Baum dargestellt werden, der von unten (alt) nach oben (neu) wächst:

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Abbildung 4: Darstellung eines Threads als Baumstruktur und zeitlicher News-on-top-Einordnung nach oben wachsend

Diese Darstellungsform löst zwar den Widerspruch zwischen Struktur und Zeit theoretisch am konsequentesten auf, doch in der Praxis wird diese Abbildung eher als verquert und unnatürlich empfunden. Denn sie zwingt dazu, beim Nachvollziehen der logischen Follow-Up-Struktur des Threads von unten nach oben zu lesen, was dem normalen Lesefluss unseres Kulturkreises, der von oben nach unten geht, stark widerstrebt.

Durchgesetzt hat sich bei Foren deshalb die Darstellungsform, wie sie in Abbildung 3 gezeigt wird. Dahinter steckt ein durchaus langer historischer Prozess. Vor allem die Newsgroups, die es ja schon seit Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts gibt, haben mit ihren thread-basierten Diskussionen viel zur Etablierung dieser Darstellungsform beigetragen. Moderne Newsreader verwenden diese Darstellungsform, um Threads abzubilden, und beim Design von web-basierten Foren stand diese Darstellungsform denn auch von Beginn an Pate. Wie flexibel die Baumdarstellung ist, wenn es darum geht, einen Thread zu visualisieren, zeigen die folgenden Beispielabbildungen. Es handelt sich um Blicke aus der Vogelperspektive auf ein paar typische Threads des SELFHTML-Forums:

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Abbildung 5: Thread mit extremer Pro-Contra-Diskussionsstruktur
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Abbildung 6: Thread mit relativ Ausgangsposting-bezogener Diskussionstruktur
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Abbildung 7: Gemischter längerer Thread mit mehreren Diskussionsteilen und Thread-Drift

Die Abbildungen zeigen, dass die baumartige Darstellungsform sehr gut die Struktur einer Diskussion abbildet. Diskussionen können sehr unterschiedlich verlaufen. Einige weisen eine eher flache Struktur auf, andere dagegen eher eine, die in die Tiefe geht. Gerade bei größeren Threads, bei denen mehrere Teildiskussionen in die Tiefe gehen, übt diese Darstellungsform eine große Faszination aus. Teilnehmer, die sich für das Wesen von Diskussionen begeistern können, finden in dieser Darstellungsform eine sehr gute optische Unterstützung bei der Orientierung, an welchen Stellen es sich für sie lohnt hineinzulesen. Das Verständnis für die zeitliche Einsortierung neuer Postings, wie es weiter oben beschrieben wird, stellt für Neueinsteiger zweifellos gewisse Probleme dar. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich Teilnehmer meist sehr schnell an das Schema gewöhnen.

Diskussionen dieser Art sind irgendwann aber auch mal ausdiskutiert. Gerade in Foren mit hohem Besucherandrang sind bei typischen Diskussionen alsbald alle Argumente vorgetragen. Ein wenig Thread-Drift vielleicht noch, doch allmählich verebbt das Interesse an dem Thread, auch wenn dieser inhaltlich hochkarätig ist und viele niveauvolle Postings enthält. Offensichtlich ausdiskutierte Threads sollten deshalb irgendwann mal aus der Gesamtübersicht der Threads verschwinden. Damit keine wertvollen Diskussionen verloren gehen, ist es am sinnvollsten, wenn solche Threads in ein Archiv wandern. Im Archiv sind die Threads noch auffindbar, doch sie sind nicht mehr aktiv, d.h. es können keine neuen Beiträge mehr in einen archivierten Thread gepostet werden. Gute Foren bestehen heute deshalb in der Regel aus einem aktiven Teil und einem Archiv. Der aktive Teil wird mit einer Übersicht aller aktiven Threads präsentiert, und der Teilnehmer kann über die Übersicht direkt in beliebige Threads an beliebige Stellen hinein "zoomen". Das Archiv ordnet dagegen alte, nicht mehr aktive Threads in sinnvoller Form, z.B. chronologisch oder thematisch. Meist ist auch eine Volltext- oder Indexsuche sinnvoll, um schnell bestimmte archivierte Inhalte aufzufinden. Sowohl der aktive Teil eines typischen web-basierten Forums als auch das zugehörige Archiv sind technisch so modelliert, dass jedes einzelne Posting über einen eigenen URI dauerhaft aufrufbar ist. Auf diese Weise werden die Diskussionen eines solchen Forums dauerhaft Teil des WWW und des weltweiten Hypertext-Prinzips. Einzelne Postings können z.B. auch in statischen Informationstexten verlinkt und als Quelle genannt werden.

Das Modell der Boards

Die gedankliche Basis-Einheit eines Boards ist im Gegensatz zu einem Forum nicht der Thread, sondern das Thema. Denn rein optisch hat das, was einem Thread in einem Forum entspricht, in einem Board stets die folgende Darstellungsform:

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Abbildung 8: Thema und Beiträge dazu in einem Board

Dabei ist A ein Beitrag, der das Thema vorgibt, und die B's sind weitere Beiträge dazu. Natürlich ist es durchaus möglich, dass der Beitrag des 5. B's gar nicht auf A antwortet, sondern beispielsweise auf den Beitrag des 3. oder 4. B's. Dies wird jedoch für den Leser erst sichtbar, wenn er den Beitrag liest. Er hat keine Möglichkeit, sich im Vorfeld darüber zu informieren, wie die Diskussionsstruktur aussieht, und welches Posting sich auf welches andere bezieht. Es ist auch gar nicht die konzeptionelle Absicht von Boards, Diskussionen abzubilden. Boards sind themenorientiert, und Beiträge in einem Board haben den Charakter eines Statements zu einem Thema. Die grundsätzliche Darstellungs-Metapher ist dabei eine Liste, nämlich die Liste aller Statements zu einem Thema. Listen haben gegenüber Bäumen den Vorteil, dass sie noch viel übersichtlicher sind. Der "ausgefranste" Charakter einer Baumdarstellung entfällt. Alles ist sauber linksbündig angeordnet und kommt dem normalen, sequentiellen Lesebedürfnis deshalb optimal entgegen. Da die Liste eines Themas mit Beiträgen eine fest zusammen gehörige Einheit bildet, ist ein Thema mit allen Beiträgen in typischen Boards denn auch die kleinste, als separate Webseite aufrufbare Einheit.

Ein Thema kann etwas beliebig Spezielles sein. Die meisten Board-Anbieter decken allerdings einen relativ umfangreiches Themenspektrum ab. Damit dabei kein heilloses Durcheinander entsteht, sind Boards so gegliedert, dass eine vorgeschaltete Navigation den Teilnehmer so nahe wie möglich an sein momentanes thematisches Interesse heran führt. Deshalb ist auch meist von Board-Systemen oder zumindest von Boards (Pluralform) die Rede. Ein Board-System, das sich beispielsweise das Themenspektrum des Web Publishings vorgenommen hat, bietet zunächst eine Art thematisch sortiertes Directory an. Meist genügen zwei Hierarchie-Ebenen für die hinführende Navigation. Dabei kann der Besucher in der oberen Ebene beispielsweise zwischen einzelnen Web-Technlogogien wie HTML oder JavaScript, oder zwischen Problemfeldern wie Frames oder Cookies wählen. In der zweiten oder dritten Hierarchie-Ebene der hinführenden Navigation werden dann vorhandene Themen zum ausgewählten Themenbereich aufgelistet. Diese Ebene wird als ein Board bezeichnet. Auch bei der Präsentation der Themen innerhalb eines Boards steht optisch gesehen bereits die Listenform im Vordergrund. Da meist mehrere Daten zu einem Thema angezeigt werden, beispielsweise der Name des Teilnehmers, der das Thema eröffnet hat, oder die Anzahl der Beiträge zu dem Thema, wird die Liste zu einer Tabelle. Jede Zeile der Tabelle ist ein Thema, und jede Spalte bietet Informationen zu einer Daten-Eigenschaft, die zu jedem Thema gehört. Ruft der Leser ein Thema auf, kann er die Liste der Beiträge zum Thema lesen. Meist wird dabei ebenfalls das Tabellenlayout, das schon in der hinführenden Navigation zu einem Thema verwendet wurde, für die optische Trennung der Beiträge zum Thema weiterverwendet.

Die folgende Abbildung zeigt "abstrahierte" Screenshots von einem typischen Board-System, seiner thematisch hinführenden Navigation und einem Thema mit Beiträgen:

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Abbildung 9: Erstübersicht mit Themenbereichen (Boards) und Hinweisen wie Anzahl von Beiträgen oder neuester Beitrag

Wird in einer solchen Erstübersicht ein Board ausgewählt, erscheint die zweite Hierarchie-Ebene mit einer konkreten Übersicht vorhandener Themen in diesem Board:

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Abbildung 10: Übersicht mit Themen im Board und Hinweisen wie Anzahl von Beiträgen oder neuester Beitrag

Bei Auswahl eines Themas erscheint schließlich die Seite mit allen Beiträgen zu diesem Thema:

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Abbildung 11: Tabellarisch/listenartige Darstellung der Beiträge zum Thema

Das gesamte System wirkt durch die tabellarische Darstellung der Daten sehr aufgeräumt. Die hinführende Navigation erlaubt das Annähern an ein gewünschtes Thema. Wer in einem Thema liest, kann durch Antworten ebenfalls etwas zu dem Thema beitragen.

Die Einordnung neuer Beiträge kann von Board-System zu Board-System verschieden sein. Die meisten Systeme hängen neue Beiträge allerdings - im Gegensatz zum eigentlich sinnvollen newest-on-top-Prinzip - am Ende der Liste an. Bei langen Listen muss der Teilnehmer dann gegebenenfalls über mehrere Seiten blättern, um neue Einträge zu lesen.

Ebenfalls unterschiedlich ist das Handling beim Archivieren. Viele Boards archivieren nie, sondern lassen jedes Thema ohne zeitliche Begrenzung offen für weitere Beiträge. Wenn zu viele Themen in einem Board sind, kann beispielsweise die hinführende Navigationsstruktur feiner gegliedert werden, so dass die einzelnen Boards thematisch enger werden und entsprechend weniger Themen versammeln.

Plädoyer

Immer wieder mal kommen vor allem Neulinge, die ihre ersten Homepage-Fragen in einer dieser banner-verseuchten und keine anderen Ziele als die der Selbstfinanzierung verfolgenden "Webmaster-Wunderland-Sites" gestellt haben, ins SELFHTML-Forum und meinen, sich erst mal über die Präsentationsform des Forums beschweren zu müssen. Da ist dann immer wieder die Rede davon, dass doch das Forum von Anbieter XY (wenn man dem Link dann folgt, sieht man, dass es ein Board ist) viel übersichtlicher sei. Außerdem empfehlen diese Besserwisser dann meistens noch, das Forum doch ebenso wie dort bei XY in verschiedene Themenbereiche aufzusplitten. Bei den Stammteilnehmern des SELFHTML-Forums lösen solche Beiträge regelmäßig heftige nervöse Hautausschläge aus. Meist kontern die Stammteilnehmer dann mit mehr oder weniger unfreundlichen Antworten von der Art, der Beschwerdeführer möge doch wieder in sein tolles Board zurückkehren und das SELFHTML-Forum nicht weiter mit seiner Anwesenheit belästigen. Einige der so Beschimpften folgen dem Rat und kommen nie wieder. Andere sind stur und schaffen es nach einer Weile, sich den Gepflogenheiten des SELFHTML-Forums anzupassen.

Vielleicht kann dieser Artikel dazu beitragen, etwas mehr Verständnis für die Art zu wecken, wie sich das SELFHTML-Forum (und viele andere, klassische Web-Foren, in denen versucht wird, die Diskussionskultur des Usenet aufs Web zu übertragen) präsentiert. Ein Forum ist ein Ort der Diskussion zwischen Teilnehmern. Ein Forum, das diesen Namen wirklich verdient, sollte deshalb thread-basiert sein, um die Diskussionen zu visualisieren. Ein Forum besteht nun mal nicht wie ein Board aus Themen, zu denen jeder Teilnehmer etwas sagen kann. Diskussionen leben vielmehr davon, dass Teilnehmer auf andere Teilnehmer antworten, diese wieder zurück antworten, dass noch andere Teilnehmer sich in eine Diskussion einschalten, und dass eine Diskussion auch mal thematisch abdriftet. Wer in einem Board schreibt, sollte sich dagegen eigentlich nicht auf einen anderen Beitrag beziehen, sondern auf den Ausgangsbeitrag, das Thema. Ein Board ist so konzipiert, dass man mit niemandem redet, sondern einfach was zum Thema sagt, ähnlich wie in einem Gästebuch, wo man etwas zur zugehörigen Homepage sagt. Boards sind im Grunde technisch auch gar nichts anderes als multiple Gästebücher mit vorangeschalteter Navigation. Der Unterschied ist nur, dass das Thema nicht die Homepage des Anbieters ist, sondern dass das Thema im Ausgangsbeitrag formuliert wird. Ein Forum ist dagegen eine ganz andere Form von Anwendung, hat ganz andere Aufgaben und setzt andere Prioritäten. Ein Forum geht davon aus, dass ein neuer Thread nicht einfach ein Thema ist, zu dem jeder was sagen soll (gewissermaßen gegen die Wand des Themas redend), sondern dass die Teilnehmer miteinander reden, und dass sich Teilnehmer auf andere Teilnehmer und ganz bestimmte ihrer Aussagen beziehen. Die Darstellungsform des Forums versucht dabei zu visualisieren, wer sich auf wen bezieht. Für Leser, die eine Diskussion mitverfolgen wollen, ist eine solche Visualisierung notwendig.

Zweiffellos kommt es auch in Boards vor, dass mal Diskussionen entstehen, weil z.B. ein Teilnehmer eine provozierende Bemerkung oder eine sachlich zweifelhafte Aussage gepostet hat. Doch erstens kann man solche Diskussionen nicht erkennen, bevor man sie liest, und zweitens wird das Verfolgen einer Diskussion schnell zur Qual, weil man in der Listendarstellung große Probleme hat nachzuvollziehen, wer eigentlich auf wen antwortet. Zum Teil muss man weit hochscrollen oder zurückblättern, um den Beitrag zu finden, auf den ein anderer Bezug nimmt. Boards sind eben nicht für Diskussionen ausgelegt. Boards sind eigentlich eher sinnvoll, wo Themen vorgegeben werden. So haben viele Online-Magazine an ihre Newsticker Boards angeschlossen, wobei jede Meldung ein Thema ist, zu dem dann die Leser ihre Meinung posten können. Ein Ersatz für ein Forum ist ein Board jedoch nicht - und schon gar nicht die bessere Alternative. Dort, wo tendenziell eher Diskussionen zu erwarten oder vom Anbieter gewünscht sind, sind Boards sogar kontraproduktiv, einfach die falsche Art von Anwendung. Mit etwas böser Zunge könnte man sogar behaupten, Boards fördern speziell im Bereich von Hilfestellung bei Computer- und Internet-Themen die Mentalität jener kleinen Schreihälse, die immer nur fertige Lösungen haben, aber nichts davon verstehen wollen. Denn Boards sind so ausgelegt, dass eine Fachfrage, die ein Thema vorgibt, eigentlich nur lineare Antworten auf die Frage erlaubt, aber beispielsweise keine Diskussionen über Sinn und Unsinn der Frage.

Es gibt durchaus auch Mischformen von Foren und Boards. So hatte beispielsweise der Heise Newsticker, das führende Nachrichtenorgan der deutschen IT-Branche, einstmals hinter jeder Meldung ein reines Board. Da der Heise-Ticker extrem hohe Leserzahlen hat und manche Meldungen hitzige Diskussionen mit hunderten von Beiträgen auslösen, war die Form des Boards jedoch nicht mehr akzeptabel. Mittlerweile werden alle Beiträge, bei denen sich eine Diskussion ergibt, als Thread gekennzeichnet und auf Wunsch in Thread-Form dargestellt. Beiträge zum Thema, also zur jeweiligen Ticker-Meldung, auf die sonst niemand antwortet, werden dagegen einfach aufgelistet wie in einem Board.

In diesem Plädoyer soll es allerdings gar nicht darum gehen, bestimmte Anwendungstypen oder Mischformen davon zu favorisieren. Dem Anwendungstyp des Boards soll auch gar nicht die Existenzberechtigung abgesprochen werden. Das Plädoyer möchte lediglich - auf dem Hintergrund der weiter oben erläuterten Unterschiede zwischen Forum und Board - klarmachen, warum manche Anbieter (so auch das Angebot des SELFHTML-Forums) bewusst ein Forum und kein Board wollen. Wer eine Plattform für Diskussionen anbieten möchte, sollte ein Forum anbieten, und wer eine Plattform für Statements zu Themen anbieten möchte, sollte ein Board anbieten. Von den Teilnehmern beider Anwendungstypen sollte verlangt werden dürfen, dass sie beide Formen unterscheiden können, so wie sie auch Gästebücher als eigenen Anwendungstyp erkennen und von Boards unterscheiden können. Das gilt auch für Neulinge, die von "Webmaster-Wunderland-Sites" kommen.

Foren neigen im Gegensatz zu Boards auch nicht zur Aufsplittung nach Themenbereichen. Denn Foren haben eine integrative Aufgabe. Sie wollen bewusst eine einzige Arena darstellen, in der sich alle, die an einem Themenkomplex interessiert sind, versammeln, um darin über verschiedenste Aspekte des Themenkomplexes zu diskutieren und auf diese Weise ihren Horizont zu erweitern. Ein Forum ist deshalb auch kein Ersatz für ein Wissensangebot. Zwar kann ein durchsuchbares Forumsarchiv sehr wohl eine Menge benötigtes Fachwissen zu Tage fördern. Doch das Forum selber versteht sich als ein Ort des Diskurses. Es versteht sich nicht als eine durch eindimensionales Frage-Antwort-Pingpong wachsende FAQ. Ein Angebot wie das SELFHTML-Forum wird deshalb auch im Gesamtangebot des SELFHTML-Raums bewusst als Ergänzung zur Dokumentation SELFHTML platziert. Es ist kein Ersatz für SELFHTML. Zwar kann, wer Glück hat, auch mal eine freundlich formulierte Frage beantwortet bekommen, deren Antwort auch in SELFHTML oder in anderen, leicht zugänglichen Quellen zu finden wäre. Doch die eigentliche Aufgabe des Forums ist das nicht. Ein Forum ist ein Ort für Leute, die bereits "drin" sind in einem Themenkomplex, und die sich durch geistigen Austausch mit Anderen, die das gleiche Interesse am Themenkomplex teilen, weiterentwickeln möchten.

Wenn nun schon - wie hier gefordert - Anwender unterscheiden können sollten, was ein Forum und was ein Board ist, so sollte dies noch viel mehr für Web-Anbieter gelten. Wer also vor der Entscheidung steht, sein eigenes Web-Angebot um eine Anwendung zu erweitern, in der Teilnehmer posten können, der sollte die konzeptionellen Unterschiede zwischen Foren und Boards kennen und sich aufgrund dieses Wissens entscheiden. Es besteht kein Grund dafür, ein Board-System einzusetzen, nur weil das scheinbar alle professionellen Sites (z.B. jene vom Typ "Webmaster-Wunderland") tun. Board-Systeme werden einfach nur ungleich stärker gepusht und kommerziell vermarktet, als es bei typischen Foren der Fall ist. Der Grund ist wohl, dass die Entwickler von Foren meist andere geistige Backgrounds haben und andere Ziele verfolgen als die kommerzielle Ausschlachtung ihrer Anwendung. Oft sind es selber leidenschaftliche Usenet- oder Forenteilnehmer. Ihre Foren wenden sich tendenziell eher an eine anspruchsvollere, intellektuellere und weniger kommerz-orientiertere Klientel. Andersherum sind Boards ganz besonders bei solchen Communities beliebt, wo die Beiträge selten über das Niveau von bloßem Knuddelgebrabbel hinausreichen, wo alles bunt sein muss und wo die Teilnehmer offenbar schon glücklich sind, wenn sie beziehungslos in die Dunkelheit eines Themas hineinreden können. Zugegeben - das sind stark wertende Worte. Aber es ist ja auch ein Plädoyer. In neutralere Worte übersetzt, sollen sie durchaus dazu beitragen, dass sich Web-Anbieter je nach Anwenderzielgruppe und gewünschter Ausrichtung der Postings bewusst für das eine oder die andere Modell entscheiden - und vielleicht auch mal gegen das, was alle tun.

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