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Vorwort zum Buch
Professionalität beim Web Publishing — was ist das eigentlich? Gerade mal ein paar Jahre ist es her, da begann im deutschen Sprachraum der Boom. Ein paar Freaks, ausgestattet mit rudimentären HTML-Kenntnissen, Netscape 1.1 und bestechend simplen Editoren, strickten ihre ersten Webseiten. Die nachfolgenden Jahre waren dann geprägt von Hektik, Goldgräberstimmung, hochgepushten Dotcoms und neuen Börsen-Indizes, explosionsartiger Ausbreitung von Web-Technologien und allerlei munteren Versuchen, das Web mit Portal-Sites oder Killer-Anwendungen zu erobern. Erst nach etwa fünf Jahren setzte eine gewisse Beruhigung ein, verbunden allerdings auch mit Katerstimmung, Agentursterben und Verdrängungswettbewerb. Das alles klingt eher nach einer wilden Party als nach etwas Seriösem, wo Eigenschaften wie Erfahrung, Know How, Entscheidungskompetenz mithin Eigenschaften also, die man gemeinhin mit Professionalität in Verbindung bringt, einen Platz haben.
Offenbar waren die wilden Jahre jedoch nötig, um herauszufinden, was denn nun eigentlich dran ist an dem neuen Medium, welche Potentiale es tatsächlich birgt, und mit welchen Mitteln man diese Potentiale am besten ausschöpft. Sowohl bei Auftraggebern als auch bei Auftragnehmern haben die ersten großen Web-Auftritte, deren Relaunches und die Hinwendung zu Business-Anwendungen und Spezial-Informationsangeboten ihre Spuren hinterlassen. Auch kleinere Auftraggeber brauchen längst nicht mehr nur eine Hand voll Seiten für die elektronische Visitenkarte, sondern Lösungen für die eigene Wartung der Web-Inhalte, Arrangements für zeitlich begrenzte Aktionen, Shop-Lösungen, Support-Foren und vieles mehr.
Das hat natürlich Folgen für die web professionals, also jene Leute, die davon leben, Dienstleistungen in diesem Bereich anzubieten. Der klassische Web-Designer, der vor seinem 21-Zoller mit Dreamweaver und Photoshop Farben und Formen kreiert, ist längst nur noch eine von vielen Stimmen im Konzert der Webworker. Ebenso gefragt sind System- und Anwendungsprogrammierer, Multimedia-Spezialisten und Redakteure. Nicht nur das unmittelbare Hantieren mit Web-Technologien wie XML, HTML, CGI, Perl, PHP usw. trägt zu modernen Web-Sites bei, sondern auch das Maßschneidern von Content Management Systemen, das Erstellen multimedialer oder betriebswirtschaftlicher Anwendungen, und nicht zuletzt die Konfiguration des Web-Servers und netztechnische Sicherheitskonzepte, denn immer mehr Web-Anbieter, auch kleinere, steigen auf Server-Hosting oder Server-Housing um, d.h. auf den Betrieb eines eigenen Rechners im Netz. Immer wichtiger wird daneben auch das Vertrauen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern. Gerade Auftraggeber, die schon Erfahrungen gesammelt haben mit früheren Web-Auftritten, sind mittlerweile kritischer und erwarten keine aufgeschwatzten Allheilmittel, sondern angemessene Lösungen, die nicht oversized, aber trotzdem ausbaufähig sind.
Vielseitigkeit und Aufgabenstrukturierung sind also angesagt, statisches Spezialistentum indessen nicht. Ein Multimedia-Experte, der keinen Sinn für die Bandbreiten im Internet hat, ist ebenso netzuntauglich wie ein Anwendungsprogrammierer, der nicht in modernen, web-basierten Benutzeroberflächen denken kann. Kernkompetenz mit Blick fürs Ganze oder Generalismus mit der Fähigkeit zur schnellen, aufgabengerechten Spezialisierung sind die Anforderungen, die an einen web professional gestellt werden.
Doch wie sieht so etwas im Alltag aus? Das vorliegende Buch geht dieser Frage nach. Vier von denen, die es geschafft haben, als Web-Profi beruflich erfolgreich zu sein, stellen je ein Projekt aus ihrer Praxis vor. Dabei wird zwar auch zwangsläufig viel von Web-Technologien die Rede sein, doch das Buch versteht sich nicht als technische Einführung. Die vier Beiträge sind vielmehr persönlich geschrieben und verraten viel von Kundenumgang, Lieblings-Software, Arbeitsplatzgestaltung, Freelancer-Lebensgewohnheiten, von Überzeugungsarbeit, Entscheidungsfindungen, Rückschlägen und Kompromissen. Der Stil der Beiträge ist erzählend, mit allen Vorteilen, die eine Erzählung bietet: Unscheinbare, aber vielsagende Details dürfen beleuchtet werden, Reflexion und Selbstreflexion dürfen sich frei mit Beschreibungen vermischen, und Humor, Ironie und tiefere Bedeutung sind ebenfalls erlaubt.
Das Buch ist deshalb schmökernd, nicht mit verbissener Lernwilligkeit zu lesen. Es ist auch nicht mit verbissenen Zielen entstanden. Der Pearson-Verlag ermöglichte den Autoren die nötigen Freiheiten einer Kür. So sind die Beiträge frei von den Zwängen einer Auftragsarbeit. Stattdessen sind es Dokumente mit persönlichem Temperament. Aus eben diesem Grund sind es zugleich authentische Dokumente, Zeitdokumente. Aus ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden ergibt sich ein komplexes Gesamtbild dessen, wie moderne, professionelle Dienstleistungspraxis in einem jungen Medium wie dem Web aussieht.
Um die vier Beiträge noch stärker in Beziehung miteinander zu bringen, haben sich die Autoren etwas Besonderes ausgedacht: jeder der Autoren hat im Vorfeld auch die Beiträge der anderen Autoren gelesen. Dann hat man sich zu Chat-Sessions zusammengefunden und bei jeder Session im Autoren-Plenum über jeweils einen der Beiträge diskutiert. Die aufgezeichneten Logs dieser Chat-Sessions sind im Anschluss an den jeweils besprochenen Beitrag mit abgedruckt. So entsteht eine zusätzliche Reflexionsebene auf der Autoren-Ebene, die dem Leser nicht vorenthalten bleibt.
Die Autoren selbst haben ganz unterschiedliche persönliche Backgrounds. Harald Taglinger arbeitet als freier Buchautor ("Jetzt lerne ich HTML") und Publizist (u.a. Telepolis, Zeit Online, Kunstforum, Deutschlandfunk). Als Redakteur hat er bereits für die Leipziger Messe, Europe Online und Microsoft gewirkt. Martin Post arbeitet als Internet Consultant für namhafte Unternehmen und als Publizist. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bilden Analysen vorhandener Web-Angebote, strategische Beratungen und Recherchen. Matthias Jung ist Spezialist für Rich Media und realisiert Film- und Hypermedia-Projekte. Wolfgang Wiese schließlich, freiberuflicher Web-Programmierer, betreibt die unter Web-Insidern bekannte Domain xwolf.com, wo CGI-Services und vielfältige Informationen zu sicherheitstechnischen, rechtlichen und anderen Aspekten des Webs angeboten werden.
Allen vier Autoren gemeinsam ist das Engagement, das sie in die Entstehung dieses Buches investiert haben. Keiner von ihnen hat die Aufgabe als Nebenbeschäftigung empfunden. Vielmehr wurde das Erstellen der Beiträge von allen als Gelegenheit betrachtet, sich über die eigene Rolle und die eigenen Methoden Gedanken zu machen. Mit der Terminologie von Vilém Flusser könnte man sagen, es handelt sich um vier Zeugnisse moderner, dem Leben mit Medien zugewandter Zeitgenossen, die sich im Übergang von einer subjektiven hin zu einer projektierenden Arbeitseinstellung befinden. Das Arbeiten an Medien ist dabei manchmal noch subjektiv Schufterei oder kreativ. Im Kern wird es aber vor allem als projektierendes, verantwortungsbewusstes Mitgestalten der Medien-Sphäre empfunden - jener Medien-Sphäre, die unsere Wirklichkeitswahrnehmung durch immer mehr Erzähltes, Abgedrucktes und sichtbar Gemachtes zunehmend bestimmt. An dem Erscheinungsbild dieser Medienwelt mitzuarbeiten bedeutet, die Städte im Kopf mit zu errichten.