3.3 Blogosphäre und Statusphäre

Die Blogosphäre

Um die Jahrtausendwende hatte sich das World Wide Web wesentlich zu einem Universum entwickelt, das aus lauter autonomen Sternen bestand, die entweder miteinander konkurrierten oder rein gar nichts miteinander zu tun hatten. Der technische Rahmen für weltweiten Hypertext war gegeben, doch sein Potential blieb noch weitgehend ungenutzt. Das Web wurde von den meisten Anwendern wie ein Telefonbuch wichtiger und weniger wichtiger Anbieter-Adressen empfunden. Einen wesentlichen Anteil an den Änderungen, die einige Jahre nach der Jahrtausendwende eintraten, haben die Blogosphäre und ihre jüngere Schwester, die Statusphäre. Beide verstärken die Vernetzung von Web-Inhalten und tragen so zu mehr Hypertext-Substanz im Web bei.

Blogs (Kurzform für Weblogs) sind zunächst einmal nichts weiter als Websites, die aus lauter Einzelartikeln bestehen. Die Artikel werden dem Besucher bzw. Leser per Default chronologisch zugänglich gemacht. Daneben besteht die Möglichkeit, Artikel zu kategorisieren und zu taggen. Dadurch kann ein Besucher / Leser durch entsprechende Navigationsmöglichkeiten alle Artikel zu bestimmten Themen oder mit bestimmten Reizwörtern selektieren. Es ist egal, ob die Artikel kurze Versatzstücke sind oder fundierte Aufsätze. Manche Blogs drehen sich um eine Katze, andere um Weltpolitik. Professoren bloggen, und Schüler bloggen. Journalisten tun es, und Hausfrauen. In Deutschland betreiten laut der Allensbacher Computer- und Technik-Analyse 8.4% aller Internet-Nutzer ein eigenes Blog.

Websites mit einer Basisstruktur in Blog-Form sind seit Mitte der 90er Jahre dokumentiert. Sie werden gerne als frühe Blogs bezeichnet, doch Blogs im engeren Sinne sind sie noch nicht. Denn „Bloggen“ besteht nicht einfach darin, eine bestimmte Grundform von Website zu verwenden. Ein Blog zu schreiben, bedeutet, an der Blogosphäre teilzunehmen. Und genau die ist das eigentlich Neue und Interessante am Phänomen der Blogs.

Es gibt technische und soziale Ausprägungen der Blogosphäre. Zu den technischen Ausprägungen gehören:

  • Blog-Software sind vom Typ her Content Management Systeme, die jedoch speziell auf die Publikationsform der Blogs ausgerichtet sind und blog-spezifische Techniken unterstützen. Fast alle Blogger nutzen heute Blog-Software. Bekannte Produkte sind etwa Wordpress oder Serendipity.
  • Blogpings: Blogger, die einen neuen Artikel / Beitrag in ihrem Blog veröffentlicht haben, können speziellen Blog-Ping-Servern ein spezielles, in XML-Form kodiertes Signal senden, um darauf hinzuweisen, dass es neue Inhalte gibt. Gute Blog-Softwareprodukte sind in der Lage, Blogpings automatisch bei allen Veröffentlichungen an eine vorgegebene, vom Blogger editierbare Liste von Blog-Ping-Servern zu senden. Alternativ stehen auch Web-Services wie Ping-o-matic zur Verfügung.
  • Spezielle Blog-Suchmaschinen wie die Google Blogsuche, Blog-Verzeichnisse wie Technorati, die auch Aspekte wie die Bekanntheit von Blogs mit berücksichtigen, oder heuristisch arbeitende Services wie der Blog-Auslese-Service Rivva stellen einen eigenen Such- und Profilierungsraum für Blogs dar. Sie profitieren vom Input der Blog-Ping-Server, berücksichtigen aber je nach Ausrichtung auch andere Faktoren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ausschließlich Services für Blogs und Online-Magazine sind.
  • Trackbacks sind Blogpings, die jedoch nicht an zentrale Ping-Server gemeldet werden, sondern an andere Blogs. Versendet werden sie dann, wenn in einem Blog-Artikel Bezug auf einen Artikel in einem anderen Blog genommen wird — identifizierbar üblicherweise durch einen entsprechenden Deeplink auf den fremden Artikel. Blog-Software-Produkte, die einen Trackback empfangen, können wiederum automatisch einen Eintrag unterhalb des betreffenden Artikels hinzufügen, der auf die Erwähnung im anderen Artikel hinweist — inklusive Rückverweis. Aus einem ursprünglich unidirektionalem Bezug wird also automatisch ein bidirektionaler.
  • Feeds aller Blog-Artikel, die von der Blog-Software automatisch mitverwaltet werden, tragen dazu bei, dass Blog-Artikel nicht nur auf der Website des Bloggers gelesen werden, sondern auch in Feedreadern. Wer selber bloggt, abonniert in der Regel auch Feeds zahlreicher anderer Blogger, um auf dem eigenen Gebiet informiert zu bleiben und natürlich auch als Quelle der Inspiration für eigene Artikel.

Blogger werden jedoch nicht nur durch Pings, Trackbacks und spezielle Meta-Services für Blogs untereinander verbunden. Unter den Bloggern haben sich im Laufe der Jahre diverse Ausdrucksformen für aktive Vernetzung herausgebildet:

  • Sogenannte Blogrolls sind Linklisten zu anderen, themenverwandten oder für gut befundener Blogs, die ein Blogger in der Navigationsspalte seines Blogs unterbringen kann. Früher stärker verbreitet als heute, lenken Blogrolls Besucher auf andere, zum Teil noch unbekannte Blogs.
  • Barcamps sind eine moderne Form von zwanglosen, aber organisierten Real-Life-Zusammenkünften, bei denen allte Teilnehmer einen eigenen Kurzvortrag zu einem frei wählbaren, halbwegs passenden Thema halten. Barcamps haben zwar nichts unmittelbar mit Blogs zu tun, doch die Idee dazu stammt von Bloggern, und es ist im wesentlichen die Bloggers-Szene, die sich auf Barcamps trifft.
  • Viele Blog-Artikel sind von anderen Blog-Artikeln inspiriert oder setzen sich mit anderen Blog-Artikeln auseinander. Es gehört zum guten Ton unter Bloggern, sich dabei im Artikel selbst deutlich zu verlinken.
  • Phänome wie das sogenannte „Stöckchen zuwerfen“ erwirken blog-übergreifende Statements zu einem bestimmten Thema. Ein Blogger stellt z.B. eine Frage wie bei einem Interview und mailt diese Frage an diverse andere Blogger, von denen er gerne eine Antwort hätte. Diese notieren die Antwort in Form von Blog-Artikeln in ihren Blogs. Außerdem können sie das Stöckchen weitergeben an Blogger ihrer Wahl. Auf diese Weise können sehr viele Blog-Artikel zu einer einzigen Ausgangsfrage entstehen.

Es ist also keineswegs verkehrt, von einer Sphäre zu reden, in der sich Blogger aufhalten. Etwas prosaischer als „Blogosphäre“ wäre vielleicht der Ausdruck „Blogger-Szene“. In jedem Fall haben die Blogger untereinander eine neue Qualität der Vernetzung im Web geschaffen. Die Blogs und ihre freie, nicht primär kommerziell geleitete Vernetzung untereinander wareb eine wichtige Antwort auf den überheblichen Dotcom-Wahn und die daraus resultierende Verarmung des Web um die Jahrtausendwende.

Die Statusphäre

Der Ausdruck „Statusphäre“ ist im Gegensatz zum Ausdruck „Blogosphäre“ nicht verbreitet. Er wird hier verwendet, um den Unterschied zwischen Bloggen und Mikrobloggen zu begreifen. Im Englischen bedeutet „statusphere“ auch die Welt der Schönen und Reichen von Hollywood. Doch diese Doppelbedeutung nehmen wir bewusst in Kauf.

Um die Statusphäre zu verstehen, muss man zunächst verstehen, dass es unter Bloggern zwei Tendenzen gibt: Die eine Tendenz ist die zu fundierten, längeren Beiträgen, vom Anspruch her Magazin-Artikel. Die andere Tendenz ist die zu sehr kurzen Blog-Einträgen. Einträge, deren Zweck oftmals nur das Mitteilen eines interessanten Links ist, vielleicht noch mit einem kurzen Kommentar versehen. Für die letztere Mitteilungsform ist ein Blog im Grunde überdimensioniert. Besser geeignet für solche Kurz-Statements ist so genanntes Microblogging.

Microblogging wird im Gegensatz zu gewöhnlichem Blogging nicht mehr in Form eigener Websites betrieben. Stattdessen gibt es Microblog-Services, die jeder nutzen kann. Der bekannteste und dominante Service dieser Art ist Twitter. 2006 erblickte Twitter das Licht der Netzwelt. Bis zum Durchbruch sollte es noch etwa eineinhalb Jahre dauern. Dann jedoch erfuhr Twitter einen kometenhaften Aufstieg. Mittlerweile gehört Twitter zu gen größten Machtfaktoren im gesamten Web. Nicht zuletzt der erfolgreiche Wahlkampf des US-Präsidenten Barrack Obama im Jahr 2008, zu dem auch regelmäßiges und konsequentes Twittern gehörte, zeigte das Potential des Services auf.

Die Stärke von Microblogging-Services liegt in der benutzer-orientierten Vernetzung. Jeder Service-Teilnehmer kann anderen Teilnehmern „folgen“ (in Twitter: „following“). Alle Beiträge von Teilnehmern, denen er folgt, bekommt er stets aktuell chronologisch absteigend in einer Liste angezeigt. Für jeden Teilnehmer entsteht auf diese Weise ein personalisierter Ausschnitt aller Beiträge im gesamten Service. Andere Teilnehmer, die einem Teilnehmer folgen, sind aus dessen Sicht seine „Verfolger“ (in Twitter: „followers“). Verfolger sind also Leser/Rezipienten eigener Beiträge. Die Beiträge selbst werden in Twitter als „Tweets“ bezeichnet.

Ein besonders effizientes Werkzeug sind die sogenannten „Reweets“. Angenommen, Benutzer A postet etwas Interessantes. 5 seiner 50 Verfolger retweeten die Neuigkeit, d.h. sie posten sie einfach ihrerseits, üblicherweise mit Nennung des Urhebers. Die 5 Retweeter haben in der Summe beispielsweise 300 Verfolger. 25 von denen finden die Neuigkeit ebenfalls sehr interessant und retweeten sie an ihre 11.000 Verfolger. Auf diese Weise können sich in einem großen Microblogging-Service wie Twitter Nachrichten oft binnen Minuten unter tausenden, ja hunderttausenden von Nutzern verbreiten. Zieht man dann noch in Betracht, dass die Empfänger keine beliebige, zufällige Auswahl darstellen, sondern dass es sich um freiwillige Verfolger, also potentiell Interessierte handelt, wird klar, welches mediale und gesellschaftliche Potential in einem Service wie Twitter liegt.

Microblogging ist zwischen herkömmlichem Bloggen und Social Networking angesiedelt. Während die Vernetzung beim Bloggen noch vorwiegend aus inhaltlich motiviertem Verlinken besteht, so tritt beim Microblogging durch das Following- und Follower-Prinzip der Aspekt der sozialen Vernetzung deutlicher zu Tage. Nicht das Veröffentlichen im Netz steht im Vordergrund, sondern das Mitteilen von Statements an die eigenen Follower.

„Statusphäre“ ist ein Oberbegriff für Microblogging und Social Networking. Ihre entscheidende Eigenschaft ist, dass sich die Vernetzung innerhalb davon stärer an menschlichen Beziehungen orientiert als in anderen, früheren Hypertext-Ausdrucksformen.

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