3.2 Folksonomy und Social Bookmarking

Anreize zum web-basierten Bookmarken

Angenommen, Millionen Anwender, von denen alle ihre Fachgebiete und speziellen Kenntnisse haben, tragen alle interessanten Links zu Websites und einzelnen Webinhalten zusammen, die sie kennen. Dabei, so darf man annehmen, entsteht ein Web-Adressverzeichnis, das thematisch so ziemlich alles abdeckt, was es gibt, und das außerdem qualitativ hochwertig ist, weil es durch Menschen und deren bewusste Entscheidungen zustande gekommen ist. Auf genau diesem Kalkül basieren Social-Bookmarking-Services, und die größten von ihnen sind tatsächlich hochwertige Suchmaschinen geworden.

Nun verfügt jeder ordentliche Web-Browser über eine brauchbare Bookmark-Verwaltung. Ein Mausklick oder eine Tastenkombination genügen, um eine aktuell angezeigte Webseite in den Bookmarks zu speichern. Ein Bookmark-Manager erlaubt das bequeme Verwalten der Bookmarks in Ordnerstrukturen. Es muss also gute Gründe geben, um Anwender dazu zu bringen, ihre Bookmarks anstelle davon oder zusätzlich dazu auf einer Website zu hinterlegen. Solche Gründe gibt es tatsächlich:

  • Bookmarks, die auf einem Webserver hinterlegt sind, sind von überall aus und mit jedem Browser aufrufbar. Wer mit unterschiedlichen Rechnern und Browsern arbeitet, z.B. zu Hause und in der Arbeit, oder mit Desktop-PC, Notebook und Netbook, weiß, wie ärgerlich es ist, wenn man benötigte Bookmarks gerade nicht verfügbar hat, oder wenn der letzte Datenabgleich so lange zurückliegt, dass die Bookmark-Datenbestände stark abweichen. Und ständiges Synchronisieren von Datenbeständen ist kaum weniger lästig als einmaliges Hinterlegen der Daten im Netz.
  • Auf einem Webserver hinterlegte Bookmarks können mit anderen Anwendern geteilt werden. Social-Bookmarking-Services unterscheiden mindestens, ob man ein Bookmark nur privat für sich selber speichern möchte, oder ob es öffentlich sichtbar sein soll. Manche Services bieten außerdem noch an, bestimmte andere Service-Benutzer als Freunde zu definieren, und Bookmarks nur Freunden zugänglich zu machen. Durch veröffentlichte Bookmarks können Anwender ihre Interessensgebiete auch nach außen hin kommunizieren.
  • Veröffentlichte Bookmarks werden vom Service-Anbieter dazu genutzt, um damit eine Websuche anbieten zu können. Das Sammeln und Publizieren von Bookmarks hat also einen sozialen Aspekt. Wer es nutzt, schafft zugleich eine auf redaktioneller Arbeit basierende Suche.

Social-Bookmarking-Services

Der erste, bekannteste und vermutlich größte Service dieser Art ist Delicious. Der Service wurde von Joshua Schachter entwickelt und ging 2003 online. 2005 wurde der Service, der sich zunächst del.icio.us nannte und eine entsprechende .us-Domain hatte, von Yahoo gekauft. Delicious ist auch deshalb sehr beliebt, weil es dafür eine Browser-Erweiterung oder auch eine Facebook-Anwendung gibt.

Im deutschsprachigen Raum ist Mister Wong der bekannteste Anbieter für Social Bookmarking. Der Service startete 2006 und wird mittlerweile von einer projekteigenen Gesellschaft betrieben.

Social Tagging (Folksonomy)

Zu den editierbaren Daten von Social Bookmarks gehören neben URL-Adresse und Titel auch Felder für eine Kurzbeschreibung und für Stichwörter. Besonders die Stichwörter (im englischen informationstechnischen Sprachgebrauch als tags bezeichnet) dienen dem Social-Bookmark-Anbieter als wertvoller Daten-Input. Denn von Stichwörtern, die einer Website oder Webseite von Anwendern redaktionell zugeordnet wurden, darf angenommen werden, dass diese hochgradig charakterisierend und kennzeichnend für den Inhalt des Bookmark-Ziels sind. Aus Sicht des Social-Bookmarking-Anbieters entsteht durch das gemeinschaftliche Indexieren aller Anwender, das in Anlehnung an den Ausdruck Taxonomie auch als Folksonomy bezeichnet wird, ein sehr umfangreicher Schlagwortkatalog.

Kategorien und Tags

Sowohl im Sprachgebrauch als auch beim Vorgang der Verschlagwortung selbst werden die beiden Methoden der kategorialen und der freien Verschlagwortung gerne vermengt und verwechselt. Da es sich jedoch nicht um ein geschlossenes System handelt, ist das auch kein Problem. Im Bereich der Folksonomy, wo sich die besteiligenden Anwender nicht über vergebene Schlagwörter verständigen, gibt es im Grunde nur die freie Verschlagwortung. Das bedeutet jedoch nicht, dass einzelne Benutzer innerhalb ihrer Bookmarks teilweise oder sogar konsequent die Form der kategorialen, begrifflich-systematischen Verschlagwortung nutzen, wie sie etwa im klassischen Bibliothekswesen üblich ist.

Social Tagging auch bei Bildern und Multimedia

Social-Bookmarking-Services sind längst nicht die einzigen Angebote, bei denen gemeinschaftliches Indexieren im Web stattfindet. Mindestens ebenso interessant ist die unbewusst gemeinsame Verschlagwortungsarbeit von Millionen beim Indexieren von nicht-textuellen Medien, also bei Bildern, Videos oder Audio-Tracks. So werden beispielsweise auch bei Flickr, dem führenden Web-Service für das öffentliche Anbieten eigener Bilder, Fotos und Fotoalben, alle Inhalte von den Benutzern selbst verschlagwortet.

Fazit

Gemeinschaftliches Indexieren ist dort sinnvoll, wo wirklich sehr viele Anwender eine gemeinsame Plattform nutzen. Bei führenden Anbietern wie Delicious oder Flickr, die eine 7- oder 8stellige Anzahl aktiver Benutzer haben, ist das der Fall. Wenn so entstehende Schlagwortkataloge von den Service-Anbietern wiederum für die Recherche nutzbar gemacht werden, entsteht ein wichtiges Mittel für Information Retrieval.

Allerdings kann man nicht behaupten, dass eine Recherche in Schlagwortbeständen wie dem von Delicious tatsächlich einer hochgradig organisierten, vorrangig software-basierten Suchmaschine wie Google unbedingt überlegen wäre. Sammlungen menschenvergebener Kennzeichnungen sind software-basierter Relevanz in Volltextbeständen nicht zwangsläufig überlegen. Bei nicht-textuellen und aus Textzusammenhängen isolierten Medien ist eine Verschlagwortung dagegen eine ganz entscheidende Grundlage für Recherchen. Sofern solche Medien allerdings wieder innerhalb von Webseiten referenziert werden, können auch software-basierte Suchen wie die Google-Bildersuche durchaus brauchbare Ergebnisse liefern.

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