Die CEOs von Facebook und Google haben sich ja unlängst beide in die Nesseln gesetzt mit Äußerungen in der Richtung, dass das Zeitalter der "Privatheit" zuende gehe. Wie auch immer man zu den dabei gefallenen, saloppen Formulierungen stehen mag: die Art und das, wie und was wir als "privat" empfinden, ist keine Naturkonstante. Nicht mal die Intimsphäre ist das, genaugenommen. Zumindest werden nicht in allen Kulturen die gleichen Körperteile als intim empfunden. Erst recht aber ist die Privatsphäre von Kultur zu Kultur, und von Zeitalter zu Zeitalter etwas sehr Unterschiedliches. Auch technischer Fortschritt und Lebensstandard haben viel damit zu tun, wie Privatsphäre empfunden wird. Für viele Zeitgenossen definiert sich Privatsphäre mittlerweile dadurch, dass man in einem Haus wohnt, das von außen uneinsehbar ist, dass man direkt aus der Garage durch lauter selbst öffnende Türen bis in die firmenausweisgeschützte Tiefgarage der Firma fahren kann, wo man arbeitet, und dass die Kinder direkt mit dem Auto von der Garage bis vors Schultor gefahren werden, weil im Schulbus viel zu viel passieren kann. Und für alles hat man eine Versicherung. Ein solches Privatheits-Optimum wird von vielen Werbespots suggeriert, und Politik und Gesellschaft tun ebenfalls viel dazu (irgendwie hat auch http://www.kessel.tv/geboren-vor-1984/ einiges damit zu tun). In Deutschland, aber auch woanders.
Die Vernetzung im Internet wirkt gegen diesen Trend. Vernetzung schafft Nähe, Transparenz, Austausch und Einsehbarkeit. Für Privatheits-Profis, deren ganzes Trachten auf das Privatheits-Optimum zielt, muss die zunehmende Vernetzung im Internet wie das Gespenst des Kommunismus im neuen Gewand wirken. Eine Bedrohung jedenfalls. Bislang hat man die noch verdrängen können, weil sie nur am Bildschirm stattfand. Aber die Streetview-Autos mit der Kamera auf dem Dach sind sozusagen das Sinnbild dafür, wie das Internet Straße um Straße erobert, wie eine weltweite Vernetzungsbewegung, ein zweiter Kommunismus mit seinen OpenSource-Gedanken den eigenen, mühsam und geschickt erworbenen Privatbesitz zur Allmende enteignen will. So empfinden viele Streetview-Kritiker — und vielleicht liegen sie damit gar nicht mal so falsch. Ich glaube ebenfalls, dass es da Erosionen im Privatheitsbegriff gibt, ausgelöst durchs Internet. Der Unterschied ist nur, dass ich diese Erosionen tendenziell begrüße :-)
viele Grüße
Stefan Münz