Hallo,
Heise hat diese Diskussion losgetreten, nicht ich. Aber ich kann mir nicht verkneifen, meine eigene Version davon loszutreten. Das verlangt schon der Name dieses Projekts, der davon ja irgendwie mit berührt ist.
Wenn also die Rede davon ist, dass Politiker mehr Ahnung von Internet haben sollten, dann ist erst mal sehr unklar, was darunter eigentlich zu verstehen sein soll. Genügt es, dass sie wissen, welche Daten man in StudiVZ von sich preisgeben kann, oder sollten sie auch HTML5-Applikationen unter Einsatz von JQuery und Python programmieren können? Natürlich lässt sich das wie üblich so lösen, dass binnen 13½ Jahren verbindliche EU-Wissensnormen für Politiker auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene erarbeitet werden, die in einem 5000-seitigem Paper münden, aus dem dann ein 500-seitiger Normenkatalog wird, für dessen Einhaltung europaweit ein Heer von 3.700 Beamten eingesetzt wird. Finanziert wie üblich von dem, was wir Junkies auf dem "Markt" erwirtschaften.
Das Problem liegt aber tiefer. Angezweifelt wird die Internetkompetenz der Politiker, aber gemeint ist ihre Existenz. Jeder, der das Netz kennt und seine Entwicklungskurve ermessen kann, ahnt allmählich, dass das Netz die alte Welt vollständig auffressen wird, inklusive der heutigen Formen von Politik und Herrschaftsformen. Die Vernetzung wird einfach alles auffressen wie ein schwarzes Loch. Neue, netzgerechte Strukturen werden sich entwickeln, inklusive Willensbildung, inklusive Wahlen, inklusive Verfahrensweisen zum Entwickeln von Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben. Menschen, denen es an Kompetenz fehlt, sich in dieser Sphäre souverän zu bewegen und mitzuwirken, werden heutigen Analphabeten vergleichbar sein.
Also noch mal etwas deutlicher:
Ein Politiker, der meint, dass seine gegenwärtige Daseinsform auch in Zukunft eine Konstante jenseits des Internets bleiben wird, ist internetinkompetent.
Ein internetkompetenter Politiker, also einer, der erkennt, wohin die Vernetzung der Menschen früher oder später führen wird, kann sich in seiner heute noch üblichen Daseinsform selber nur noch als Interims-Lösung betrachten (so in etwa wie sich das DDR-Regime in der Zeit nach dem Mauerfall und vor der Wiedervereinigung gefühlt haben muss).
viele Grüße
Stefan Münz