Hallo Heiko,
vielen Dank für dein ausführliches Statement!
Die Tücken stecken oft im Detail: Schaltflächen, die nicht aussagekräftig beschriftet sind, moderne Applikationen, die dafür sorgen, dass sich auf dem Bildschirm unbemerkt laufend Content verändert, Captchas, die blindengerechte Sonderwege erfordern usw.
Das sind ja typische Details, die auch die Web Content Accessibility Guidelines des W3-Konsortiums behandeln, und die von zahlreichen Accessibility-Experten verbreitet werden. Nun gibt es sicher gedankenlose und fahrlässige Webseiten-Bastler, die sich um solche Empfehlungen einen Dreck scheren. Aber es gibt auch eine Fraktion, die sich sklavisch gegen innvoative Web-Techniken wie Ajax wehrt. Ein "stinknormaler" Webdesigner arbeitet in den meisten Fällen irgendwo zwischen diesen Extremen. Er hat wichtige Accessibility-Richtlinien im Kopf, aber er muss auch Kundenwünsche umsetzen. Und gar keinen Einfluss hat er auf das, was Kunden in den Wysiwyg-Inhalts-Feldern der meisten Content Management Systeme treiben.
Vor ein paar Wochen gab es innerhalb des Social Networks Xing eine lange und sehr kontrovers geführte Diskussion zum Thema "Scripting und zugängliche Webseiten": Muss/soll eine Website auch mit deaktiviertem JS funktionieren?. Hinweis: wenn man kein Xing-Mitglied ist, kann man nur solche Postings in dem Thread sehen, die öffentlich freigegeben sind. Ich habe aus dieser Diskussion den Eindruck gewonnen, dass sich viele Web-Entwickler durch den Fundamentalismus mancher Accessibility-Vertreter ziemlich genervt fühlen. Das größte Problem bei solchen Diskussionen ist aber meines Erachtens, dass eigentlich viel zu wenig bekannt ist darüber, wie Menschen mit Beeinträchtigungen tatsächlich im Web zurecht kommen, woran sie scheitern, was sie sich wünschen würden usw. Leider bleibt es dann bei "akademischen" Positionsverhärtungen, ohne dass mal ein Betroffener locker darüber plaudert, was ihn stört, woran er scheitert, was auf jeden Fall anders oder einheitlich gelöst werden sollte usw. Natürlich wären das immer subjektive Erfahrungsberichte. Aber in der Summe könnten sie vermitteln, worauf es beim Erstellen von Websites und beim Erstellen von Webseiten-Inhalten in Sachen Accessibility wirklich ankommt.
Ich komme z.B. auf einer Behördenseite, die den aktuellen Standards entspricht, deutlich besser zurecht als auf flashigen Werbeagentur-Seiten.
Daran ist immerhin erfreulich, dass die Einhaltung der Accessibility-Standards, zu denen Behörden mittlerweile gezwungen sind, tatsächlich etwas bringt. Unerfreulich ist, dass gerade Werbeagenturen, die ja häufig bemüht werden, um Websites zu entwerfen, immer noch so einseitig auf optische Bewegungseffekte fixiert sind.
Und, meiner Meinung nach, liegt ein großes Problem in der Unkenntnis vieler sehbehinderter PC-User im Umgang mit Hilfsmitteln.
Das gehört zu den unbekannten Dingen, über die ich gerne viel mehr wissen würde. Dass es Menschen gibt, die mehr Interesse an den technischen Möglichkeiten haben, und solche, die sich dafür gar nicht interessieren, wundert mich nicht. Das ist ja normal. Wahrscheinlich gibt es auch sehr gruße Unterschiede dabei, wie zugänglich eine konkrete Website empfunden wird. Der eine tut sich leichter, auch ohne optische Eindrücke eine mentale Vorstellung von einer Website zu machen. Der andere tut sich da schwerer und benötigt deshalb wesentlich mehr Entgegenkommen. Als Außenstehender muss ich mich fragen: wie groß ist die Bereitschaft, der Wille auf Seiten von Menschen mit Zugangsschwierigkeiten, sich durch Probleme zu beißen und eine Website am Ende doch erfolgreich nutzen zu können? Irgendwie erwarte ich da als "Normalo" so ein wenig, dass sich solche Menschen stärker anstrengen als andere Menschen, um ihre Beeinträchtigungen doch irgendwie auszugleichen. Das ist aber wahrscheinlich nur dann der Fall, wenn jemand eine positive Grundeinstellung hat. Wer erst mal depressiv auf Hindernisse reagiert, hat schon verloren.
Uff, ich glaube, ich schreibe zu viel, und gehöre längst ins Bett …
viele Grüße
Stefan Münz