Was Ist eigentlich Dot Communism?

24.07.2007

Von der Dotcom-Blase hat wohl fast jeder schon mal gehört. Im Zuge des ersten Web-Booms Ende der 90er Jahre investierten Banken und Sponsoren reichlich Risikokapital in Firmen, die häufig nur aus ein, zwei Köpfen, Festplatten und Modems bestanden. Die Börse griff den Trend auf und pushte den Hype in aberwitzige, realitätsfremde Höhen. Manch einer der so beglückten Wellenreiter prahlte sogar offen damit, zig Millionen Dollar wert zu sein, ohne jemals einen Cent Umsatz gemacht zu haben. Als die Blase in den Jahren 2000/2001 platzte, war immer wieder die Rede vom Zusammenbruch der New Economy.

Die Idealisten und Träumer des ersten Web-Booms wurden von der Dotcom-Welle scheinbar mit weggefegt. Doch aufgegeben haben sie eigentlich nie, und zwar aus dem gleichen Grund, weshalb die Dotcom-Blase letztlich platzte: das Web basierte auf einer Kultur von OpenSource und OpenContent. Sein Wesen war die Demokratisierung von Wissen. Die einen wussten es immer und glaubten weiter daran, und die anderen verkannten es. Ein feiner Seismograph in jenen Zeiten war das Magazin Wired. Dort erschien 1999, also mitten in der Hochphase der Dotcom-Welle, ein Artikel mit dem aufmüpfigen Titel The Rise of Dot-Communism. „On the Web, truth will have a bigger megaphone than money and "dotcommunism" will win out.“, so heißt es dort („Im Web hat die Wahrheit ein größeres Megaphon als das Geld, und deshalb wird "dotcommunism" überlegen sein“).

Doch ist es nur ein nettes Wortspiel, aus dotcom ein dotcommunism zu machen, oder sind die Verfechter von letzterem tatsächlich vom Schlage alter Kommunisten? Beim Wortspiel allein blieb es jedenfalls nicht. So ist auf der englischsprachigen Wikisource das Dot Communist Manifesto zu finden (die Original-Adresse war leider gerade nicht erreichbar). Eine deutsche Übersetzung davon ist ebenfalls verfügbar. Die Nähe zum Original von Anno 1847/48 kann und will das Dotcommunist-Manifest gar nicht leugnen.

Autor des Dot Communist Manifesto ist Eben Moglen, der eng in die Free Software Foundation involviert ist. Letztere ist bis heute die geistige treibende Kraft der OpenSource-Bewegung. Doch wie kommunistisch ist nun das Dotcommunist-Manifest? Es hantiert mit sehr authentischen, in heutiger Zeit aber eher abschreckend bis befremdlich wirkenden Begriffen wie Bourgeoisie oder Klassenkampf. Es versteht sich sehr wohl als legitime Neudeutung der kommunistischen Idee im digitalen Zeitalter. Zielscheibe sind dabei nicht mehr so sehr die Besitzverhältnisse bei den Produktionsmitteln, sondern der Privatbesitz an Ideen. Jedes Wissen, jede Information, die nicht öffentlich zugänglich im Netz steht, dient der Theorie des Manifests zufolge der herrschenden Klasse der Gegenwart, nämlich den Inhabern von Nutzungsrechten an geistigen Erzeugnissen, egal ob in der Musik, in der Literatur, beim Film oder in der Software-Entwicklung.

Die Erlösung besteht in OpenContent. Alles andere sind rein wirtschaftlich gesteuerte, aufoktroyierte Inhalte, die niemand haben will. Doch ist das tatsächlich so? Welcher OpenSource-Programmierer hört nicht gerne völlig gedankenlos Musik von Glenn Gould bis Linkin Park, entspannt sich bei Videos von Mr. Bean oder geht nur allzugerne mit seinen Kindern in Shrek-Filme. Der typische OpenSourcer oder OpenContentler ist eigentlich eher eine mehrschichtige Persönlichkeit und tolerant gegenüber allen erdenklichen Medienproduktionsformen. Ob das tatsächlich die geeigneten Frontsoldaten des Dotcommunism-Manifests sind? Und das Heer der Informations-Proletarier bleibt auch irgendwie unbestimmt. Elton John und Steven Spielberg sind dazu wohl kaum noch bekehrbar. Die vielen tausend kleinen Bands vielleicht, die von Gig zu Gig reisen in der Hoffnung, mal mehr zu erreichen als eine 500er-Auflage ihrer CDs? Wahrscheinlich nicht mal die. Letztlich reiht sich das Dotcommunist-Manifest einfach ein in die immer größer werdende Galerie skurriler und offen zugänglicher Hervorbringungen. Man könnte fast sagen, es ist sein eigenes Opfer geworden: das Netz ist nämlich längst viel zu selbstverständlich demokratisch, um sich von einer so heroisch-wichtigtuerischen Textsorte wie einem Manifest ernsthaft beeindrucken zu lassen. Die Dot-Communism-Blase darf ebenfalls als geplatzt gelten, und es wurde nicht mal bemerkt. Was übrigens alles gar nichts damit zu tun hat, dass OpenContent der richtige Weg ist ;-)


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