GMail und Germany

03.07.2007

Lebenslang sollten sie gültig sein, die E-Mail-Adressen der Deutschen Post, mit der schönen Endung @epost.de. Doch schon nach zwei oder drei Jahren kam das Aus: Unrentabel sei der Service, so das deutsche Vorzeige-Unternehmen mit dem immer noch halbstaatlichen Versorgungsnimbus. Also mussten die Deutschen doch bei anderen, kommerziellen und erfolgreicheren Mailprovidern anheuern. Viele etwa bei GMX, Yahoo oder Web.de. Und schließlich kam Google daher, bot einen Mail-Service namens Gmail alias™ Googlemail an, der kostenlos war, bei dem in den Mails keine nervige Werbung mitverschickt wurde, wo man vergleichsweise üppige zwei und mehr Gigabyte Speicher hatte, der sowohl mit einer neuartigen, Ajax-basierten Web-Oberfläche als auch via POP3 mit normalen Mail-Clients nutzbar war, und mit dessen Account man nebenbei noch all die anderen Services von Google nutzen konnte, vom Kalender über Bookmarks, Notebook, Groups bis hin zu einem eigenen Blog bei Blogger.com.

Doch nun droht Google, seinen Mail-Service zu schließen. Nicht überall und nicht aus Rentabilitätsgründen, nein, sondern nur in Deutschland. Der Grund: ein deutscher Minister namens Wolfgang Schäuble, dessen eindeutig erkennbarer Wunsch ein Überwachungsstaat als Mittel zur Bekämpfung unerwünschten Elementen ist, will ein “Gesetz zur Überwachung des Telekommunikations- und Datenverkehrs im Internet” durchdrücken, das mit den Anonymitätsgrundsätzen von Google Mail nicht mehr vereinbar ist. Natürlich nicht nur mit Google Mail nicht. Google ist nur der erste Provider, der reagiert hat. Andere werden folgen. Millionen von E-Mail-Konten könnten gelöscht werden, Terabytes persönlicher Daten könnten verlorengehen. Im Grunde muss jede Internet-Plattform und jeder Internet-Service für deutsche Staatsbürger unerreichbar werden, die irgendeine Art von Kommunikation mit anderen Internet-Nutzern ermöglicht, wobei nicht eindeutig identifizierbar ist, welcher Bürger da mit welchem anderen kommuniziert hat.

Doch warum? Immerhin wurde die umstrittene Gesetzesvorlage bereits abgemildert. Ursprünglich sah sie nämlich sogar vor, dass man E-Mail-Adressen nur noch gegen Identifikation wie etwa durch persönliche Vorlage von Personalausweis, Rentenversicherung(?) oder Fingerabdruck(?) erhalten sollte. Und außerdem steckt hinter dem Gesetzesentwurf eine EU-Vorgabe. Was also läuft speziell in Deutschland schief, dass Google solche Drohungen nur für dieses Land ausstößt? Und dann ist da bei manchen Internet-Hardlinern noch diese Doppelverwirrung. Einerseits ist Google für sie das Böse schlechthin auf Erden, wo alles über jeden gespeichert werden soll. Und nun protestiert Google mit Berufung auf seinen Anonymitätsgrundsatz? Wird man nun etwa zum Schäuble-Sympathisanten, weil man scheinbar auf seiner Seite gegen die Datenkrake Google kämpft?

Vielleicht hilft es sich bewusst zu machen, dass Google sehr wohl alles über jeden Google-Account speichert, um so Nutzungs- und Interessensprofile zu erstellen. Vorgeblich, um die Qualität der eigenen Suche sowie anderer eigener Services wie AdSense-Werbung zu erhöhen. Nach Ansicht nicht weniger Misstrauischer aber eher, um solche Profile teuer weiterzuverkaufen. Wie auch immer: am Anfang steht eine schlichte Selbstregistrierung bei Google, die keine anderen Rückversicherungen verlangt als heute üblich: selbst wählbare Werte für Benutzername und Passwort, Ausweisung als Mensch durch Abtippen einer grafischen Buchstabenkette, und Anklicken eines Bestätigungslinks, der an eine vorhandene andere Mailadresse des Registrierenden gesendet wird. Google weiß nicht, wer sich hinter dem Registrierenden verbirgt. Es ist auch kein Problem und wird von Google ohne Einwand akzeptiert, wenn eine Person sich mehrere Google-Accounts zulegt, sei es aus Gründen des persönlichen Identitätsmanagements oder einfach um mehr Mailspeicher zu erhalten. IP-Adressen werden bei Google wohl wie überall sonst auch geloggt, aber IP-Adressen sind relativ, selbst wenn sie den Zugangsprovider verraten und dieser genau protokolliert, welcher Kunde wann mit welcher IP-Adresse im Netz ist. Es kann sich jedoch um eine Router-Adresse handeln, an der etliche PCs unterschiedlicher Personen hängen. Es kann sich auch um die IP-Adresse eines Anonymizer-Services handeln, falls der Internet-Benutzer nicht möchte, dass seine echte IP-Adresse mitgeloggt wird. Es kann sich um einen Hack auf TCP/IP-Ebene handeln, wo die IP-Adressen der Datenpakete manipuliert wurden. Für Kriminelle und Terroristen ist es also kein Problem, Google-Accounts (und alle anderen, vergleichbaren Accounts bei Mailprovidern oder auch bei vergleichbaren Services wie den allseits beliebten Instant Messengern für konspirative Zwecke zu nutzen, ohne dass die Service- oder Content-Provider einen verlässlichen Bezug zu realen Personen herstellen können. Egal wie viel Google zu einem Account an Daten für seine Profilerstellung speichert.

Schäuble dagegen will diese Anonymitätsmöglichkeiten vollständig ausschalten. Seine Vorstellung ist ein Internet mit IP-Adressen, die so eisern und transparent sind wie ein deutscher Festnetz-Telefonanschluss in Zeiten vor der Telekom und des freien Telekommunikationsmarkts. Sein Wunsch sei ihm in allen Ehren gelassen. Doch von einem Minister muss man verlangen, dass er Folgen bedenken kann. Die Folge seines Wunsches ist die Abschaltung des gesamten Internets in Deutschland, nach dem Vorbild von Nordkorea vielleicht. Denn da er keinen Einfluss hat auf ausländische Server und Services, vom E-Mail-Provider bis zum Anonymizer, ist sein Feldzug nur ein lächerlicher Kampf gegen Windmühlen. Alles was er erreichen wird ist eine verheerende Schwächung von Internet-Kompetenz in Deutschland, doch keine Terroristenmail weniger wird deshalb ihren Weg durchs Netz finden. Es wird Zeit, dass die wahlberechtigte Bevölkerung erkennt, dass dieser Innenminister und seine Schargen eine ernsthafte Gefahr für das Land darstellen.

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Bemerkenswerte Zitate aus anderen Beiträgen:

Flickr, vorerst kein deutsches youtube und jetzt das deutsche Gmail. Es zeichnet sich ein Muster ab. Und zwar eins, das eine deutliche Sprache spricht: Internationale Unternehmen erkennen, dass die deutsche Gesetzgebung größtenteils internetfeindlich ist. Das liegt natürlich auch zu einem Großteil an der Tatsache, dass die deutsche Legislative größtenteils internetfeindlich ist: Der deutsche Wirtschaftsminister lässt zum Beispiel das Internet bedienen. “Bundesminister für Wirtschaft und Technologie”. (Neunetz.com: Internet: Standortnachteil Deutschland)

Mit der Registrierung wäre Googles Businessmodell in Gefahr. Sobald Google weiss, wer sich hinter einem Computer verbirgt, darf Google aus Datenschutzgründen keine Daten mehr sammeln oder aggregieren. Dies beträfe natürlich nicht nur den E-Mail-Dienst sondern alle Goolge-Dienste. In der Schweiz zum Beispiel, hätte jeder das Recht, bei Google die Offenlegung der über ihn gespeicherten Daten zu verlangen. Schlicht nicht handlebar. (Internet-Briefing.ch: Google macht Politik - aber kein Staat)

Google hat Ahnung von Computern und was man mit diesen Daten anfangen kann, Politiker haben diese Ahnung nicht. Hier scheint eher eine Art „Hauptsache wir haben was, irgendwie können wir es schon verwenden“ Mentalität zu walten. Und Google will mich nicht überwachen. Google will mich nicht verdächtigen. Google beschuldigt mich nicht. Google gibt mir viel eher etwas zurück. Die Dienste und gleichzeitig Werbung, die vielleicht sogar ganz interessant sein kann. Bei Google habe ich nicht die Angst, mir so etwas wie einen „Bundestrojaner“ auf meinen Rechner zu laden. (der Wendlaender: Warum wir Google vertrauen)


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