Mozilla meets SELFHTML und Webkompetenz

20.06.2007

Die PR-Agentur Arcendo hatte geladen, und die geladenen Gäste erschienen. Zusammengebracht werden sollten namhafte Vertreter von Mozilla Europe und vom Webprojekt SELFHTML. Keine schlechte Wahl, denn schließlich verzeichnen die Browser mit der Gecko-Engine in den Juni-2007-Statistiken von SELFHTML als Netscape getarnt eine satte Führungsrolle, und auch die Leser des Webkompetenz-Forums verwenden Mozilla-Browser, vor allem natürlich Firefox, zu über 50%. Nun bin ich ja eigentlich kein Vertreter von SELFHTML mehr, doch da der Event in den Räumen von Arcendo in München Haidhausen stattfand, fragte Thomas J. Sebestyen mich, ob ich dabei sein möchte.

Wir trafen auf keine Geringeren als auf den Kanadier Mike Shaver, ehemaliger Netscape-Mitarbeiter und Mitbegründer des Mozilla-Projekts, sowie auf den Franzosen Tristan Nitot, Präsident von Mozilla Europe. Die beiden sind derzeit auf einer PR-Tour, in der es um Themen geht, die uns allen wichtig sein sollten: um ein offenes, für alle zugängliches und für alle mitgestaltbares Web, damit einhergehend natürlich um OpenSource, um offene Kritik an bestehenden Webstandards sowie um die Frage, wie gefährlich jüngere Versuche kommerzieller Software-Firmen sind, dem Web neue, proprietäre Stempel aufzudrücken — vor allem sind damit Microsoft Silverlight und Adobe AIR gemeint.

Die knappe Zeit von etwas weniger als zwei Stunden reichte natürlich nicht aus, um über all diese Themen erschöpfend zu reden. Es wurde jedoch deutlich, dass die Mozilla-Leute die gegenwärtige technische Infrastruktur des Web, bestehend aus W3C-Standards, einem ECMA-Standard und einem breitgefächerten OpenSource-Angebot für die Server-Seite für ein sehr produktives Gespann hält, das es zu schützen und natürlich auch weiterzuentwickeln gilt, das aber auch noch Lücken hat. Es wurde festgestellt, dass sich das Web von einem ursprünglich dokument-orientierten Charakter hin zu einem multiplen Medium wandelt, das einerseits nach wie vor zahllose „Dokumente“, also textorientierte Informationen enthält, aber mittlerweile auch immer mehr Applikationen, also desktop-artige Anwendungen, die den Benutzern ermöglichen, persönliche oder Team-Daten im Web zu verwalten und zu verarbeiten, sowie immer mehr Multimedia. Vor allem bei diesen neuen Realitäten des Web fehlt es aber noch an der Dominanz und Präsenz offener Standards. Im Applikations-Sektor, der gerade erst so richtig zu boomen beginnt, stehen Microsoft, Adobe und einige andere kommerzielle Anbieter hächelnd in den Startlöchern. Das W3-Konsortium hat zwar applikations-relevante Spezifikationen wie das Document Object Model (DOM) oder die XMLHttpRequest-Schnittstelle (= Ajax) unter seinen Fittichen, doch das allein genügt nicht, um für den künftigen Markt der desktop-artigen Webanwendungen gerüstet zu sein. Und im Multimedia-Sektor hat Flash längst so deutlich das Rennen gemacht, dass es nur noch über die eigenen Füße stolpern könnte. W3C-Standards wie SVG oder SMIL wurden einfach nicht angenommern.

So betrachtet wird also nachvollziehbar, welchen tieferen Sinn der gegenwärtige PR-Feldzug von Mozilla hat: gerade jener Bereich des Web, der gerne als Web 2.0 bezeichnet wird (der Ausdruck ist in den ganzen zwei Stunden des Meetings übrigens höchstens ein oder zweimal gefallen ;-), eröffnet neue zu besetzende Felder. Und es wäre schade, wenn wir am Ende für mehr als die Hälfte aller Web-Inhalte Browser-Plugins benötigen, weil dahinter proprietäre Closed-Source-Technologien stecken, die sich durchgesetzt haben. Alles in allem also ein sehr interessantes Gespräch mit zwei führenden Köpfen der OpenSource-Welt, an dessen Ende es noch ein paar Merchandizing-Geschenke gab, die auch bei meinen Kleinsten gut ankamen:

amos-joshi-firefoxing.jpg

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