18.06.2007
Einer der Gründe, weshalb „Web 2.0“ so viel Begeisterung auslöst, ist die große Freiheit, die damit verbunden ist. Es ist die gleiche Begeisterung, die Mitte bis Ende der 90er Jahre schon einmal herrschte, als viele Menschen begriffen, dass eine eigene Homepage ein vollwertiges Kundgebungsorgan sein kann. Der Unterschied ist nur, dass man mittlerweile keine eigene Homepage und all das entsprechende Know How mehr benötigt, sondern einfach die zahlreichen Services im Web nutzen kann, die das Beitragen von Inhalten ermöglichen.
Doch die große Freiheit wird wie schon vor zehn Jahren wieder in Schranken gewiesen. Über den Blog-Artikel Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt bin ich auf den dort behandelten Beitrag Erstickt Web 2.0 an seiner eigenen Freiheit? gestoßen.
Zwei Aspekte finde ich an dem Thema bemerkenswert und neu gegenüber der Situation von vor zehn Jahren:
Erstens ist es offenbar mittlerweile gar kein großes technisches Problem mehr für größere Site-Anbieter, ganze Länder und Staaten vom Zugriff auf ihre Inhalte oder auf bestimmte ihrer Inhalte auszuschließen. Wenn das in immer mehr Fällen ohne großes Medienrauschen funktioniert, werden wir in wenigen Jahren ein fein dezidiertes System aus Zugriffsberechtigungen auf Content-Provider-Ebene haben, das still und leise jenseits von Logins und Passwörtern operiert. Dann sieht der Franzose was der Deutsche nicht sehen darf, und dieser sieht was der Türke nicht sehen darf. Der eine bekommt beim Google-Suchbegriff „Staatsterrorismus“ 90.000 Treffer, sein Nachbarländer ganze 40.000. Letzterer wirds verschmerzen, weil er auch 40.000 Treffer nicht alle auswerten kann. Es bleibt ein Gefühl von grenzenloser Freiheit, obwohl in Wirklichkeit mehr als die Hälfte zensiert wird.
Zweitens hat sich eines geändert: die einfachen User, die in einem Web-2.0-Service Content generieren, kann man nicht mehr so einfach greifen und gezielt abmahnen. Stattdessen müssen sich Abmahnanwälte und Firmen, die keine Nachtaufnahmen des Pariser Eiffelturms dulden, weil sie ein Urheberrecht auf dessen Beleuchtungseffekte haben, mittlerweile mit den Anbietern der Content-Plattformen selbst auseinandersetzen, also beispielsweise mit ausgewachsenen Boliden wie Flickr oder YouTube, wohinter dann noch größere Player wie etwa Google stehen können. Das ist einerseits beruhigend, denn die haben ein wirtschaftliches Interesse am sorglos beigesteuerten User-Content und sind deshalb auch bereit zu teueren Prozessen. Andererseits reduzieren sich dadurch die Angriffsflächen, und wenn einer der großen Services tatsächlich mal an einem derartigen Rechtsstreit zerbrechen sollte, würde der Sog, den er beim Sinken erzeugt, möglicherweise die ganze schöne Web-2.0-Welt mit in die Tiefe reißen.
Vielleicht wird die große Freiheit wieder unterdrückt. Vielleicht entwickelt sich aber auch ein Pingpong-Spiel, bei dem auf jeden neuen Freiheitsrausch ein Dämpfer erfolgt, in dessen Dunst dann wieder eine neue Form von Netzfreiheit entsteht. Vielleicht wird man die Versionsnummern des Webs irgendwann nach diesen Aufschwüngen zu neuen Möglichkeiten der Freiheit zählen.
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