Dr. Web: 4342 Artikel und ein stilles Ende

11 Nov 2010 20:10

In einem Tweet habe ich zufällig aufgeschnappt, dass Dr. Web seine Pforten geschlossen haben soll. Das konnte ich erst gar nicht glauben. Schließlich habe ich gerade vor ein paar Tagen noch ein paar relativ aktuelle Artikel dort gelesen. Also folgte ich dem Link im Tweet, der zum Impressum von Dr. Web führt. Und dort steht tatsächlich lapidar: „Dr. Web war ein Online-Magazin für Webworker und Webdesigner. Es wurde 1997 von Sven Lennartz gegründet und erschien bis zum 1.11.2010 ausschließlich Online.“

drweb.png

Dr. Web war also 14 Jahre lang aktiv und gehört zweifellos zu den traditionsreichsten Sites im deutschsprachigen Web. Zumindest unter Webdesignern und Webentwicklern war Dr. Web eine bekannte Anlaufstelle. Grund genug für ein paar Reflexionen.

Drehen wir dazu mit Hilfe der WaybackMachine das Zeitrad zurück in jene graue Epoche, welche von den Spätergekommenen gerne als Web 1.0 bezeichnet wird. Um die ersten noch archivierten Stände von Dr. Web einzusehen, muss man die WaybackMachine nach der Adresse www.ideenreich.com/drweb.shtml (reines HTML — Grafiken, CSS usw. werden nicht angezeigt) befragen. Hinter ideenreich.com steckt Dr.-Web-Gründer Sven Lennartz.

Die frühen Jahre waren die signalgelbe Epoche von Dr. Web. Der Comic-Zeichner Heinz Körner hat das damalige Webdesign in einer schönen Grafik festghalten und ein dazu passendes Maskottchen für Dr. Web erstellt:

comics_drweb.png
Comic-Grafik von Heinz Körner zur signalgelben Phase von Dr. Web (Original)

Das Signalgelb war mutig und fand nicht nur Freunde. Auch heute ist das noch so: wer im Webdesign auf Gelb setzt, hat Mut, muss aber nicht grundsätzlich verkehrt liegen. Erst kürzlich hat Lennart Prange in seinem Webdesign-Blog einen interessanten Artikel über Gelb und Webdesign veröffentlicht. Ein Artikel übrigens, der in dieser Form auch hervorragend ins Portfolio von Dr. Web gepasst hätte.

Doch Dr. Web bestand nicht nur aus grellen Farben und interessanten Artikeln für Webseitenbastler. Um die Jahrtausendwende entstand dort, ganz ähnlich übrigens wie auch bei SELFHTML, eine bindungsstarke Community. Denn im Web 1.0 wurden durchaus schon alle Kommunikationskanäle intensiv genutzt. Es waren nur andere als heute — vor allem Foren (und Boards). Dr. Web bot seit April 2001 ein Forum an. Wegen des regen Zulaufs der Site wuchs der Mitgliederstamm im Forum rasch. Ein gutes Jahr später kam es jedoch zum Bruch zwischen den Betreibern von Dr. Web und der Community. Das Forum wurde abgestoßen mit der Begründung, dass es nicht mehr ins Konzept von Dr. Web passe. Die Community wollte aber nicht zerfallen und gründete mit dem Einverständnis von Dr. Web die Strohhalm-Community auf strohhalm.org. Der Name ist bewusst gewählt: es waren überlebende Schiffbrüchige, die sich zusammen taten, um sich neu zu organisieren. Zum Zeitpunkt des Bruchs waren 6.000 Community-Mitglieder registriert. Die Anzahl wuchs in der Folgezeit weiter an, und noch heute ist strohhalm.org beliebt.

Derweil entwickelte sich Dr. Web mehr in Richtung Online-Magazin. Es gab Rubriken, und es gab etliche Autoren, die für Dr. Web Artikel schrieben. Viele nur einmal, manche regelmäßig. In der Autorenliste finden sich einige bekannte Namen der aktuellen Blogger- und Twitter-Szene wieder. Die herausragende Person des Projekts ist und bleibt dabei allerdings Sven Lennartz. Schon in den Anfangsjahren von Dr. Web war er im Netz allseits bekannt und gab zahlreiche Interviews an den damals dafür üblichen Orten, etwa das KriT-Apfel-Interview, oder ein Interview bei sagmal.de. 1113 der insgesamt 4342 Artikel auf Dr. Web stammen von ihm.

Sven Lennartz ist allerdings kein typischer Autor, sondern auch Unternehmer. Seine gegenwärtige Firma nennt sich Smashing Media GmbH, hat ihren Sitz in Freiburg im Breisgau und bestand im Sommer 2010 aus 11 Mitarbeitern. Wem jetzt noch nichts aufgefallen ist, dem sei es hier verraten: dieses Unternehmen, das von Sven Lennartz gemeinsam mit Vitaly Friedman geführt wird, war nicht nur die treibende Körperschaft hinter Dr. Web, sondern ist auch auch diejenige hinter dem international noch viel bekannteren, englischsprachigen Smashing Magazine. Nur wenige wissen, dass dieses 2006 gegründete und längst zum weltweiten Trendmagazin für Webdesigner avancierte Projekt vom Schwarzwaldrand aus gesteuert wird. Die About-Seite des Smashing Magazines verrät mehr darüber, und noch mehr Details gibt es im t3n-Artikel Video-Interview mit Vitaly Friedman: „Das Smashing Magazine war am Anfang nur ein Experiment“.

Über die Gründe, das Dr. Web-Magazin einzustellen, kann man nur mutmaßen. „Dr. Web ist für die Leute, die das Internet machen“, erklärt der 48-jährige Erfinder des Onlinemagazins noch am 20.10.2010 in dem ebenfalls sehr lesenswerten Artikel Dr. Web & Smashing Magazine: Freiburg erklärt der Welt wie man Websites gestaltet. Entweder war das Ende von Dr. Web von langer Hand geplant und sollte aber bis zuletzt nicht nach außen kommuniziert werden, oder es war ein sehr spontaner Entschluss. In jedem Fall war das Ende ungeheuer lautlos, wenn man bedenkt, wie bekannt Dr. Web war.

Postskriptum (12.11.2010)

Ich hatte im Vorfeld zu diesem Blog-Artikel an Sven Lennartz (SL) zwei Fragen zum Ende von Dr. Web gemailt. Mittlerweile hat Sven geantwortet:

1. Die Schließung des Dr.Web-Online-Magazins war extrem leise und unauffällig. Keine großen Ankündigungen, kein spektakulärerer Domainverkauf, keine große Presse. War das Absicht? Und wenn ja, mit welchen Hintergedanken?

SL: absolut. die kunden wurden direkt informiert, die leser etwas später über die website, die inzwischen umgebaut wurde. die artikel bleiben allesamt online, auch alle kommentare.

das drweb magazin ist aus meiner wahrnehmung ab anfang 2007 zu gunsten des englischsprachigen smashing magazins langsam aber stetig in den hintergrund getreten. um das smashing magazin habe ich zusammen mit dem vitaly friedman eine neue firma aufgebaut. drweb passte da letztlich nicht mehr hinein und konnte auch nur noch wenig zum betriebsergebnis beitragen. das interesse auf seiten der leser und das der autoren war aber auch nicht mehr daselbe wie früher, das machte die arbeit am magazin zäh.

2. Welche Aktivitäten verfolgt ihr anstelle des Dr.Web Online-Magazins? Wo werden Webworker künftig die inspirierende Fachartikel von der Sorte finden, wie sie typisch für das Dr.Web Online-Magazin waren?

SL: wir sind inzwischen 13 leute, von denen 9 vor ort in freiburg arbeiten. derzeit wird das smashing book 2 vorbereitet, das anfang 2011 angekündigt werden wird. mich erinnert das natürlich an die gelben drweb-bücher, die seit 2000 erschienen, nur das hier mit sehr viel mehr aufwand gearbeitet wird und das ergebnis - hoffentlich - auch spektakulärer ausfallen wird ;-)

das inzwischen alte smashing book 1 habe ich heute übrigens zum ersten mal in chinesischer sprache in den händen gehalten. mit drweb wäre das so wohl nicht möglich gewesen.

manches überlebt sich, ich bin nicht traurig weil ein projekt zu einen ende gekommen ist, sondern freue mich darüber auch mal wieder was anders machen zu können :-)

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