Verhältnis zu Google

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Aus meiner Affinität zu Google-Produkten mache ich eigentlich keinen Hehl. Ich nutze Google Apps mit GMail, Kalender, Docs und Wiki. Der Chrome-Browser ist die erste und manchmal einzige Anwendung, die ich lokal starte (auch beruflich abeite ich vorwiegend direkt auf Servern), meine Fotos landen, wenn sie von der Kamera kommen, üblicherweise in Picasa und dann in Picasa Web. Über Google Wave habe ich schon dies und das geschrieben, und seit gestern nutze ich auch Google DNS. Bin ich also willfähriger Teil des bösen Masterplans?

Anlass dieses Beitrags ist ein @Webkompetenz-Tweet, der mich über Twitter erreichte. Opferwurst fragte, ob ich nicht etwas unkritisch gegenüber Google sei. Die durchaus freundlich gemeinte Anfrage betrachte ich mal als „Stöckchen“. Auf Twitter habe ich Opferwurst geantwortet, dass ich nach Jahren Erfahrung mit Google keinen Grund sehe, kein Vertrauen in Google zu haben. Wer möge, dürfe das unkritisch nennen. Ein paar weitere Gedanken zu dem Thema erscheinen mir allerdings angebracht. Argumente, die noch nie gedacht wurden, sind wohl nicht dabei, aber manchmal besteht ein Artikel auch nur darin, eine Reihe von Gedanken und Argumenten an einem Ort zu versammeln.

Zunächst einmal ist dabei zu klären, welche Gefahren hier eigentlich im Raum stehen. Meines Erachtens sind es die beiden folgenden:

  1. Google ist ein Monopolist. Monopolisierung verhindert freien Wettbewerb, führt am Ende zu teueren Knebelverträgen, willkürlichen Einschränkungen und Zensur.
  2. Google ist eine Datenkrake. Das Unternehmen sammelt persönliche Daten und benutzt diese im günstigsten Fall für personalisierte Werbung, im ungünstigsten Fall zur Denunzierung bei Ermittlungsbehörden oder zum Verkauf an Unternehmen, die für detaillierte Persönlichkeitsprofile viel Geld zahlen.

Beide Punkte zusammengenommen führen zur Vorstellung einer Übermacht, die arglose Internet-User mit attraktiven Angeboten lockt, dabei unauffällig ihre Daten aussaugt, dadurch immer mächtiger wird und am Ende die ganze moderne, hochdigitalisierte Welt nach Belieben und eigenen Interessen steuert. Kritiker entwerfen ganz konkrete Szenarien davon, wie sich das 1998 als klassische Garagenfirma gegründete Google schon in den nächsten Jahren die eigentliche Weltherrschaft sichert. Bekannt ist in diesem Zusammenhang das Google Epic Video, eine Zukuftsvision von Robin Sloan und Matt Thompson über die fiktive Entwicklung von Google und der Medienorganisationen bis zum Jahr 2015. Das aus dem Jahr 2007 stammende Video liegt auch in deutscher Übersetzung vor. Für alle, die es noch nicht nicht kennen:

Für das Jahr 2008, das vom Redaktionszeitpunkt des Videos aus gesehen das erste Jahr der Zukunft war, sagt das Video den Zusammenschluss von Google und Amazon zu einem Megakonstrukt namens Googlezon voraus. Zumindest das ist nicht eingetroffen. Doch die zentrale Vision des Videos ist ja auch eine andere, nämlich das „Evolving Personalized Information Construct“ (EPIC), eine Art lernfähiger, persönlicher digitaler Assistent, der jedoch keine vom Benutzer selbst und freiwillig eingesetzte Software ist, sondern eine vom allmächtig gewordenen Google im Netz bereitgestellte Software-Intelligenz, die das Netzverhalten des Benutzers analysiert und daraus personalisierte und optimierte Inhalte für ihn generiert. Die Vision erinnert ein wenig an den Film Matrix, in dem das, was die Menschen als real erleben, in Wirklichkeit eine personalisierte, software-gesteuerte Welt ist.

Zwei Argumente möchte ich zu dem Video zu bedenken geben: das erste ist, dass Menschen zwar durchaus personalisierte Nachrichten und Inhalte zu schätzen wissen. Genau das ist der Grund, warum Services wie Twitter oder Facebook so beliebt sind. Andererseits wollen die meisten Menschen jedoch auch authentische, unabhängige News und Inhalte, die nicht nur auf ihre persönlichen Vorlieben und ihren Horizont zugeschnitten sind. Denn nur durch die Konfrontation mit „unpassenden“ Inhalten entwickeln Menschen sich weiter, und das wissen sie auch. Sie werden sich also nicht so schnell von einem unauffällig installierten System nur noch personalisierter Inhalte einlullen lassen, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht verblöden wollen.

Das andere Argument hat gar nichts mit dem Inhalt des EPIC-Videos zu tun, sondern mit der Tatsache, dass das oben eingebettete Video von YouTube stammt. YouTube gehört, wie man weiß, zu Google. Auch im Angebot von Google Video ist das das Video zu sehen. Google hat also offenbar nicht das geringste Problem mit solchen Inhalten. Dazu passt auch eine Initiative, die Google unlängst gestartet hat, nämlich die Data Liberation Front. Dabei geht es darum, Usern, die von Google zu Konkurrenzanbietern wie Yahoo, Microsoft oder anderen wechseln möchten, die Mitnahme ihrer E-Mails, Dokumente, Adressbücher, Kalenderinhalte und anderer Daten so einfach wie möglich zu machen. Niemand hat Google zu dieser Initiative gezwungen. Doch sie hilft der sogenannten Datenkrake aus Mountain View sehr überzeugend, dem Argument zu begegnen, User durch hinterlegte Daten so zu binden, dass an einen Wechsel zu anderen Anbietern gar nicht mehr zu denken sei.

Auf unternehmenseigenen Servern werden also unternehmenskritische Inhalte verbreitet, und Kunden wird der Weggang von Google möglichst einfach gemacht. Zentrale Software-Entwicklungen wie Chrome, Wave oder Android werden unter OpenSource-Lizenz gestellt, was Code-Kontrolle, freie Nutzung und Weiterentwicklung unter gleicher Lizenzform ermöglicht. Natürlich kann man das alles madig reden, genauso, wie man die relativ unbekannte Hilfsorganisation Google.org oder die Tatsache, dass die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin ihr jähliches Einkommen auf einen symbolischen Dollar eingefroren haben, als gutmenschliche Ablenkungsmanöver abtun kann. Auch das zu all dem passende, fast schon naive Unternehmensmotto Don’t be evil bietet genügend Angriffsflächen für süffisante Witzeleien.

Ein wichtiger Trugschluss vieler Google-Kritiker besteht meines Erachtens darin, dass sie allein aus der Größe und Bedeutung des Unternehmens negative Absichten ableiten. Google spielt in der Liga von General Motors oder Gazprom, also muss es korrupt, machtgierig und sozial unverträglich sein. Ein Narr, wer so einem gefräßigen Giganten irgendwelche persönlichen Daten anvertraut. So das Einvernehmen. Dabei wird jedoch verkannt, dass Google völlig andere Unternehmensstrukturen hat und völlig andere Leute an die Schaltstellen lässt. Nerds, die, wenn man ihnen eine Milliarde Dollar Spielraum gibt, nichts besseres zu tun haben, als sich eine damit finanzierbare, tolle neue Cloud-Computing-Lösung auszudenken. Die dann wieder ein voller Erfolg wird, der von Kritikern als weiterer Beweis der „wahren“ Absichten von Google gewertet wird.

Besonders krass wehte dieser selbstherrliche Kritiker-Wind im Herbst 2008, als Google für viele ziemlich überraschend seinen Browser Chrome heraus brachte. Gefühlte 98% der deutschen Blogosphäre gefiel sich, angeheizt von einer Bundesbehörde, die vor Jahren auch JavaScript erst einmal als böse Gefahr anprangerte, in warnend erhobenen Zeigefingern bezüglich des neuen Browsers, wegen dessen Eigenschaft, pro Installation eine eindeutige ID an Google zu übermitteln. Während Chrome international mit Neugier und Experimentierlust begrüßt wurde, schien sich in Deutschland eine Art Kollektiv-Paranoia über das Land zu verbreiten, die zumindest bei mir ganz ungute Lämpchen im Kopf blinken ließ. Das liegt daran, dass ich gefährliche Denkweisen manchmal wo ganz anders rieche als da, wo sie die meisten anderen riechen. Nämlich nicht bei der bösen, mächtigen Datenkrake aus Kalifornien, sondern bei einer bestimmten Sorte von vorzugsweise in Deutschland vorkommendem Oberlehrertum.

In einem lesenswerten Artikel über Google hat Kristian Köhntopp vor einigen Wochen herausgearbeitet, dass es bei Google nie um Macht ging, sondern einfach nur um die Erforschung der Informationssphäre mit selbst erwirtschafteten Mitteln. Die U.S.S Enterprise des digitalen Universums gewissermaßen. Köhntopps Analyse befreit endlich mal von dem 20th-Century-Gedanken, dass Geld immer nur Machtgier erzeugt, egal in wessen Hände es gerät. Das Netz hat nämlich nicht nur Blogger, Networker, OpenStreetmap-Kartografen und das Cluetrain-Manifest hervorgebracht. Es hat auch Unternehmen hervorgebracht, die das Cluetrain-Manifest kennen. Google gehört meines Erachtens dazu, auch wenn es sich vielleicht nicht krampfhaft an alle Cluetrain-Forderungen zu halten versucht.

Meine persönlichen Erfahrungen mit Google runden das Bild ab. Seit etwa drei Jahren nutze ich Google-Anwendungen täglich und intensiv. Ich hatte in dieser Zeit nie den Eindruck, als ob meine Daten in irgendeiner Form für irgendetwas „verwendet“ worden wären — außer für kontext-sensitive und personalisierte Werbeanzeigen, was in den Nutzungsbedingungen ja ausdrücklich drin steht. Die meisten der Mail- oder Hilfeforum-Anfragen, die ich bislang an Google hatte, sind zumindest nach einer Weile beantwortet worden — keine 100%-Quote, aber auch keine schlechte Quote jedenfalls angesichts der Tatsache, dass ich alle Google-Services kostenlos nutze. Wenn ich das mit so mancher Provider-Hotline vergleiche, ist der Unterschied ganz offensichtlich. Nachdem ich im Hilfeforum selbst einige Fragen anderer Teilnehmer beantwortet hatte, bekam ich von einer Google-Mitarbeiterin eine zweifellos ehrlich gemeinte Danke-Mail.

Drei Jahre Erfahrung sind kein halbes Leben, und wenn Google heute aus lauter smarten Mitarbeitern besteht, muss das in zwanzig Jahren nicht noch genauso sein. Doch wer mit solchen Argumenten Vertrauen verweigert, muss sich irgendwann auch mal fragen lassen, wo denn dieses so sorgfältig zurückgehaltene Vertrauen anderweitig investiert wird, und ob überhaupt, oder ob da nur anerzogenes Misstrauen gegenüber allem ist.

Bei Recherchen zu diesem Artikel bin ich übrigens fast auf diese Meldung hereingefallen. Dumm, dass bei Google auch Aprilscherze ganzjährig gefunden werden. Verbesserungsvorschlag an Google: alles, was an einem 1. April veröffentlicht wird, kann nur an diesem Tag gefunden werden.

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