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Rund um das Online-Lexikon Wikipedia ist ein Streit eskaliert, der nun die Runde durch die Blogosphäre und Magazine macht. Es geht darum, was in die Wikipedia gehört und was nicht. Da es keine natürlichen Grenzen gibt wie geplante Anzahl Bände, Seitenzahlen usw., lassen sich keine Sachzwänge mehr als Ausrede vorschieben. Was in die Wikipedia gehört und was nicht, wird allein auf Grund von Relevanz entschieden. Innerhalb von Wikipedia gibt es einen Kriterienkatalog für Relevanz. Der jedoch steht nun auf dem Prüfstand. Währenddessen verschärft sich der Ton zwischen Inkludisten und Exkludisten, den Antipoden in diesem Streit.
Eine kleine Übersicht von Artikeln zum Thema:
- Aggregat7 : 99% aller Deutschen sind irrelevant
zwitschi.NET - Ohne Relevanzkriterien keine Wikipedia
Notizblog - Kein Mensch ist irrelevant
Wikimedia Blog - Gruppendynamische Prozesse bei der Wikipedia
Tim Schlotfeldt » E-Learning - Wikipedia: manches Wissen ist gleicher als anderes
AK's weblog - Relevanzkriterien: Wikipedia-Verein lädt zur Diskussion nach Berlin!
netzpolitik.org - Wikipedia: Wer Relevanz und Referenz verwechselt
digitalpublic.de - Wikipedia zwischen Relevanz und Firlefanz
Netzzeitung.de - Wikipedia-Autoren ziehen in den Löschkrieg - gegen Katzen
SPIEGEL Online - Die Diktatur der Relevanz
DIE ZEIT
Persönlich bin ich froh, dass dieser Streit in die Öffentlichkeit gelangt und offen ausgetragen wird. Denn vor einigen Wochen machte ich eine eigene, etwas verstörende Erfahrung mit dem, worum der Streit sich dreht. Bislang habe ich nur wenig zu Wikipedia beigetragen. Meiner Natur folgend bin ich eher jemand, der Artikel anfängt. Das Verfeinern, Optimieren und Ergänzen können andere besser als ich. Als ich 2004, 2005 den einen oder anderen Artikel begann, war das noch eine lockere Angelegenheit. Doch mittlerweile gleicht es offenbar einer unerhörten, schamlosen Aktion, so etwas zu tun. Nach dem Erfolg der Online-Petition gegen das Zugangssperrengesetz fand ich es für angebracht, dass deren Initiatorin, die sich plötzlich im Licht der Öffentlichkeit wiederfand und diese plötzlich aufgezwungene Rolle trotz einiger Bedenken im Dienst an der Sache annahm, einen eigenen Wikipedia-Artikel verdient hatte: Franziska Heine.
Der Link führt zu dem Artikel, der mittlerweile den Segen der Anerkennung erhalten und die Hürden der Relevanz genommen hat. Doch nur wenige Minuten, nachdem die erste Fassung des Artikels online war, wurde bereits ein Löschantrag gestellt. Der wurde auch gleich noch von einigen anderen unterstützt. Da gibt es also Leute, die sich neue Artikel wie einen Twitter-Stream in Echtzeit reinziehen, den Inhalt der „Neuen“ kurz überfliegen und dann volll innerer Genugtuung den Antrag-auf-Ablehnung-Stempel zücken. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass bei neuen Artikeln, die nicht eklatant gegen die Regeln verstoßen, etwa gegen den Neutralitätsgrundsatz, nicht der Beweis für die Berechtigung des Artikels erbracht werden muss, sondern wenn, dann der Berweis für die Nicht-Berechtigung. Doch da hatte ich wohl eine falsche Vorstellung von der Wikipedia, wie sie mittlerweile ist. Glücklicherweise fanden sich in der Löschdiskussion zum Franzsika-Heine-Artikel schnell Mitstreiter, die den löschgeilen und zudem ziemlich schnoddrig herablassend auftretenden Lösch-Fanatikern Paroli boten. Am Ende waren die Löschanträge durch eine erdrückende Last an Links und Argumenten an die Wand gespielt worden.
Im Fall Franzsika Heine mussten die Exkludisten am Ende also eine Niederlage einstecken. Doch in wie vielen anderen Fällen haben sie sich durchgesetzt? Als Exkludisten werden sie deshalb bezeichnet, weil ihr Bestreben ist, die Inhalte der Wikipedia überschaubar zu halten. Nur was wirklich „wichtig“ ist (genauer: „relevant“), gehört ihrer Ansicht nach in die Wikipedia. Zwar gibt es einen Relevanzkriterienkatalog. Doch der wird erstens voin der Meute der Exkludisten sehr frei ausgelegt, und zweitens ist er selber stets diskussions- und verbesserungswürdig.
Auslöser der jetzt aufgeflammten, öffentlichen Diskussion war übrigens ein anderer Artikel, der ebenfalls viel mit dem Zugangssperrengesetz zu tun hat: nämlich der Artikel über den Verein MOGIS (http://mogis.wordpress.com/), der im Mai dieses Jahres bekannt wurde, als er sich ausdrücklich gegen das Zensursula-Gesetz aussprach. MOGIS hatte wohl weniger Glück als Franziska Heine. Die Exkludisten setzten sich in diesem Fall erst einmal durch.
Nicht wenige stellen sich die Frage, ob die Wikipedia überhaupt Relevanzkriterien braucht, und wenn ja, ob sie so weitreichende braucht. Vertreter dieser Denkrichtung werden als Inkludisten bezeichnet. Die wichtigste Forderung der Inkludisten besteht darin, umstrittene Artikel erst einmal zu lassen, bevor ihre Berechtigung nicht auf breiter Front in Frage gestellt wird („im Zweifel für den Angeklagten“). Allerdings wird damit ein sehr weiter Bereich abgedeckt, nämlich von Artikeln wie dem zu MOGIS (gemeinnütziger Verein, der öffentlich in Erscheinung getreten ist) bis hin zum Fliesenleger aus Delmenhorst, der einfach mal einen WP-Artikel über seinen Dreimannbetrieb schreibt.
Einigkeit zeichnet sich darüber ab, dass die „Kaste“ der Löschbeamten gründlich ausgemistet werden muss. Eine selbstherrliche Bürokratenriege, die fast schon mit faschistoidem Duktus operiert, gehört nicht in die Wikipedia und steht quer zu der ganzen Richtung, in die sich das Netz entwickelt. Die Frage dagegen, ob es Relevanzgrenzen geben soll, und wenn ja, wo genau sie anzusetzen sind, wird wohl noch weiter für Uneinigkeit sorgen.
Hallo,
nach meiner Auffassung gibt es weniges, das für jeden relevant ist. Wer sich nicht interessiert für Chemie, Mathematik, Physik … könnte sagen, Artikel darüber seien irrelevant.
Für mich ist die Qualität eines Artikels ein wichtigeres Kriterium, wobei der Begriff "Qualität" nach meiner Meinung schwer, viellicht nicht "objektiv" zu fassen ist, dennoch glaube ich, intuitiv sind sich viele einig darüber, was von guter/mittlerer/schlechter Qualität ist.
Es sollte möglich sein, die Suche einzuschränken, das Mediawiki kennt Kategorien, und somit auszuschließen, was ich nicht finden will. Statt zu zensieren, ließe sich eine fehlende Kategorie zuordnen oder eine unpassende zu korrigieren.
Grüße,
Elmar
Hallo Elmar,
Wenn man es radikal hinterfragen möchte, ja. Nur werden in der Praxis die meisten Menschen viele "Lemmas" für relevant halten, obwohl sie selber keine Ahnung davon haben. Einfach weil sie in sich drinnen selber so was wie einen Relevanzkanon haben, bedingt durch Erziehung, Schule, Kontakte und Lebenserfahrung. Ich kann z.B. mit historischem Faktenwissen um seiner selbst willen wenig anfangen. Aber deshalb würde ich niemals auf die Idee kommen, alle Artikel, die sich um historische Details drehen, aus Wikipedia verbannen zu wollen.
Eines muss man, wenn man eine radikal subjektive Position bezieht, auf jeden Fall tun: jedem anderen die gleiche radikale Subjektivität zugestehen, auch wenn sie von der eigenen abweicht. Das wiederum würde im direkten Schluss bedeuten, dass man alles, was in eine offene Enzyklopädie geschrieben wird, gelten lassen muss, weil niemand wissen kann, für wen was mal wann relevant sein könnte.
Mit der Qualität ist es genaugenommen das Gleiche wie mit der Relevanz. Wie du richtig bemerkst, hat jeder irgendwie so eine ungefähre Vorstellung von Qualität (so wie diesen inneren Relevanzkanon). Und genauso wie bei der Relevanz könnte man in punkto Qualität den Standpunkt vertreten, da keine objektive Beurteilung möglich ist, eine radikal subjektive Sicht der Dinge zuzulassen. Und dann muss man auch wieder alles gelten lassen, weil man ja nie weiß, was für wen vielleicht mal qualitativ hochwertig sein könnte.
Ich sehe eigentlich bei beiden Faktoren, also bei Relevanz und Qualität, dass alle Menschen so etwas wie vorhandene Vorstellungen, Konzepte, Begriffe davon haben, und dass diese Vorstellungen, Konzepte, Begriffe nicht völlig beliebig sind. Wenn sie aber nicht völlig beliebig sind, so stellt sich die Frage, ob und/oder wie sich das "Allgemeingültige" aus ihrer Unschärfe "herausschnitzen" lässt.
Genau das wird immer wieder versucht, und ganz stark eben auch bei der Wikipedia. Leider entsteht dabei einfach oft eiine Spirale der Verselbständigung. Das heißt, Leute, die sich vor allem oder nur noch mit dem Freischnitzen, also der Kriteriensuche für Faktoren wie Relevanz oder Qualität befassen, bilden sich irgendwann ein, einen messerscharfen Blick dafür zu haben, der dem anderer Mitmenschen haushoch überlegen ist. Sie bilden sich schließlich ein, sogar bei Lemmas, mit deren Thematik sie sich überhaupt nicht auskennen, entscheiden zu können, was relevant oder hochwertig ist. Das ist der Punkt, wo nicht mehr das Finden von Kriterien das Problem ist, sondern die Leute (oder einige davon), die sich mit diesem Finden befassen, sind dann das Problem.
viele Grüße
Stefan Münz
<blockquote>Einigkeit zeichnet sich darüber ab, dass die „Kaste“ der Löschbeamten gründlich ausgemistet werden muss. Eine selbstherrliche Bürokratenriege, die fast schon mit faschistoidem Duktus operiert, gehört nicht in die Wikipedia und steht quer zu der ganzen Richtung, in die sich das Netz entwickelt.</blockquote>
Wer die Löschdiskussionen bei der Wikipedia beobachtet oder ihnen gar beigewohnt hat, wird dieser Aussage nur zustimmen können.
Typische D-Säcke der übelsten Sorte bemühen sich um die Exklusion bestimmter Inhalte - um selbst über die publizierten Inhalte zu bestimmen.
Argumentiert wird dann mit der (nicht absolut existierenden) Relevanz (altlat.: relevans, in diesem Kontext metaphorisch genutzt) und dbzgl. Kriterien.
Die Auslegung derselben unterliegt dann politischen (und oft linken) Maßgaben.
Ein Irrenhaus!
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