Relevanz - eine neue Knappheit?

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Rund um das Online-Lexikon Wikipedia ist ein Streit eskaliert, der nun die Runde durch die Blogosphäre und Magazine macht. Es geht darum, was in die Wikipedia gehört und was nicht. Da es keine natürlichen Grenzen gibt wie geplante Anzahl Bände, Seitenzahlen usw., lassen sich keine Sachzwänge mehr als Ausrede vorschieben. Was in die Wikipedia gehört und was nicht, wird allein auf Grund von Relevanz entschieden. Innerhalb von Wikipedia gibt es einen Kriterienkatalog für Relevanz. Der jedoch steht nun auf dem Prüfstand. Währenddessen verschärft sich der Ton zwischen Inkludisten und Exkludisten, den Antipoden in diesem Streit.

Eine kleine Übersicht von Artikeln zum Thema:

Persönlich bin ich froh, dass dieser Streit in die Öffentlichkeit gelangt und offen ausgetragen wird. Denn vor einigen Wochen machte ich eine eigene, etwas verstörende Erfahrung mit dem, worum der Streit sich dreht. Bislang habe ich nur wenig zu Wikipedia beigetragen. Meiner Natur folgend bin ich eher jemand, der Artikel anfängt. Das Verfeinern, Optimieren und Ergänzen können andere besser als ich. Als ich 2004, 2005 den einen oder anderen Artikel begann, war das noch eine lockere Angelegenheit. Doch mittlerweile gleicht es offenbar einer unerhörten, schamlosen Aktion, so etwas zu tun. Nach dem Erfolg der Online-Petition gegen das Zugangssperrengesetz fand ich es für angebracht, dass deren Initiatorin, die sich plötzlich im Licht der Öffentlichkeit wiederfand und diese plötzlich aufgezwungene Rolle trotz einiger Bedenken im Dienst an der Sache annahm, einen eigenen Wikipedia-Artikel verdient hatte: Franziska Heine.

Der Link führt zu dem Artikel, der mittlerweile den Segen der Anerkennung erhalten und die Hürden der Relevanz genommen hat. Doch nur wenige Minuten, nachdem die erste Fassung des Artikels online war, wurde bereits ein Löschantrag gestellt. Der wurde auch gleich noch von einigen anderen unterstützt. Da gibt es also Leute, die sich neue Artikel wie einen Twitter-Stream in Echtzeit reinziehen, den Inhalt der „Neuen“ kurz überfliegen und dann volll innerer Genugtuung den Antrag-auf-Ablehnung-Stempel zücken. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass bei neuen Artikeln, die nicht eklatant gegen die Regeln verstoßen, etwa gegen den Neutralitätsgrundsatz, nicht der Beweis für die Berechtigung des Artikels erbracht werden muss, sondern wenn, dann der Berweis für die Nicht-Berechtigung. Doch da hatte ich wohl eine falsche Vorstellung von der Wikipedia, wie sie mittlerweile ist. Glücklicherweise fanden sich in der Löschdiskussion zum Franzsika-Heine-Artikel schnell Mitstreiter, die den löschgeilen und zudem ziemlich schnoddrig herablassend auftretenden Lösch-Fanatikern Paroli boten. Am Ende waren die Löschanträge durch eine erdrückende Last an Links und Argumenten an die Wand gespielt worden.

Im Fall Franzsika Heine mussten die Exkludisten am Ende also eine Niederlage einstecken. Doch in wie vielen anderen Fällen haben sie sich durchgesetzt? Als Exkludisten werden sie deshalb bezeichnet, weil ihr Bestreben ist, die Inhalte der Wikipedia überschaubar zu halten. Nur was wirklich „wichtig“ ist (genauer: „relevant“), gehört ihrer Ansicht nach in die Wikipedia. Zwar gibt es einen Relevanzkriterienkatalog. Doch der wird erstens voin der Meute der Exkludisten sehr frei ausgelegt, und zweitens ist er selber stets diskussions- und verbesserungswürdig.

Auslöser der jetzt aufgeflammten, öffentlichen Diskussion war übrigens ein anderer Artikel, der ebenfalls viel mit dem Zugangssperrengesetz zu tun hat: nämlich der Artikel über den Verein MOGIS (http://mogis.wordpress.com/), der im Mai dieses Jahres bekannt wurde, als er sich ausdrücklich gegen das Zensursula-Gesetz aussprach. MOGIS hatte wohl weniger Glück als Franziska Heine. Die Exkludisten setzten sich in diesem Fall erst einmal durch.

Nicht wenige stellen sich die Frage, ob die Wikipedia überhaupt Relevanzkriterien braucht, und wenn ja, ob sie so weitreichende braucht. Vertreter dieser Denkrichtung werden als Inkludisten bezeichnet. Die wichtigste Forderung der Inkludisten besteht darin, umstrittene Artikel erst einmal zu lassen, bevor ihre Berechtigung nicht auf breiter Front in Frage gestellt wird („im Zweifel für den Angeklagten“). Allerdings wird damit ein sehr weiter Bereich abgedeckt, nämlich von Artikeln wie dem zu MOGIS (gemeinnütziger Verein, der öffentlich in Erscheinung getreten ist) bis hin zum Fliesenleger aus Delmenhorst, der einfach mal einen WP-Artikel über seinen Dreimannbetrieb schreibt.

Einigkeit zeichnet sich darüber ab, dass die „Kaste“ der Löschbeamten gründlich ausgemistet werden muss. Eine selbstherrliche Bürokratenriege, die fast schon mit faschistoidem Duktus operiert, gehört nicht in die Wikipedia und steht quer zu der ganzen Richtung, in die sich das Netz entwickelt. Die Frage dagegen, ob es Relevanzgrenzen geben soll, und wenn ja, wo genau sie anzusetzen sind, wird wohl noch weiter für Uneinigkeit sorgen.

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