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Wird nun in Deutschland im Internet zensiert werden oder nicht? Zensursula hat sich durchgesetzt, auch wenn sie persönlich abgewatscht wurde, und wird wohl weitere vier Jahre das Land mit ihrer Demagogie überziehen. Flankiert allerdings von einer zum Machtfaktor gewordenen FDP, die das Wort Bürgerrechte fast so oft im Munde führt wie die Piraten. Könnten Kernthemen der Netzpolitik am Ende sogar zum großen Zankapfel der schwarzgelben Koalition werden?
Wenn es nach der CDU geht, steuert unser Land geradewegs in den netzpolitischen Abgrund hinein, bald vergessen in Ewiggestrigkeit, stehengeblieben auf dem geistigen Stand der 80er und allenfalls 90er Jahre. Das Netz als eine Art Online-Dienst betrachtend, der leider keiner bestimmten Firma gehört, und den deshalb der Staat übernehmen muss. So ähnlich, wie dieser auch Banken übernehmen muss, für deren Schulden sich niemand mehr zuständig fühlt.
Es bleibt also alles an der FDP hängen. Innerhalb der schwarzgelben Koalition werden sie etwa 28% der Bundestagssitze belegen. Da sie außerdem der eigentlich Wahlgewinner sind und ohne ihre beachtlichen Zuwächse gar keine schwarzgelbe Koalition zustande gekommen wäre, werden sie sicherlich Einfluss geltend machen. Die Frage ist jedoch, ob sich dieser Einfluss vorwiegend im Kampf um Posten und Pöstchen erschöpfen wird, oder ob die FDP mit ihrem knappen Koalitionsdrittel auch in der Lage und willens sein wird, verheerende Fehlentwicklungen wie das Zensursula-Gesetz zu blockieren.
Immerhin hat ein erstes Sondierungsgespräch zwischen Kanzlerin Merkel und FDP-Chef Westerwelle bereits klare Auffassungsunterschiede in der Rechts- und Innenpolitik deutlich werden lassen. Solange aus der Zweck-Koalition kein schwarzgelber Schmusekurs wird, besteht also zumindest die Hoffnung, dass die FDP zumindest schlimmste Misshandlungen der noch so jungen digitalen Gesellschaft verhindern kann.
Mindestens ebenso interessant wird jedoch, wie sich die Opposition formiert. Die innerparlamentarische Opposition, die im wesentlichen aus Grünen und Linken besteht (die SPD muss sich entscheiden, ob sie links oder nichtig werden will), wird sich vermutlich stark auf soziale und umweltpolitische Kontrapositionen zur Regierung konzentrieren, was ja auch wichtig ist. Jedoch sind von dort keine wesentlichen netzpolitischen Impulse zu erwarten. Linke und Grüne sind außerdem Parteien, die nach klassischem Muster gestrickt sind und von daher auch keine Visionen in Richtung digitaler Demokratie haben.
Letztere bleiben wohl vorerst nur der Piratenpartei vorbehalten. So jung diese Partei auch noch ist: sie steht am Scheideweg. Die meisten Medien, andere Parteien und Normalbürger, also etwa jene 98%, die sie nicht gewählt haben, nehmen sie wahr und erwarten von ihnen, dass sie sich in die Parteienlandschaft einfügen oder bitte wieder verschwinden mögen. Viele ihrer mittlerweile 5stellligen Mitglieder erwarten das vermutlich auch längst.
Doch Deutschland braucht nicht noch eine weitere „breit aufgestellte“ Partei. Deutschland braucht eine informell organisierte Zentrale, in der Visionen zusammenlaufen, wie Demokratie im digitalen Zeitalter neu organisiert werden kann. Denn mehr und mehr Menschen möchten nicht mehr, dass noch ihre Kindeskinder im olympischen Rhythmus mit einem antiken Bleistift zwei Kreuzchen auf ein Multiple-Choice-Blatt malen und das für Volksherrschaft halten. Demokratisches Regieren im digitalen Zeitalter muss letztlich auf die Selbstorganisation des Volkes hinauslaufen. Noch besteht die Chance, dass die Piratenpartei sich nur in dem Sinne Partei nennt, als sie einstweilen netzpolitische Interessen im bestehenden Nachkriegssystem der Parteien vertritt, aber in Wirklichkeit als Brutstätte und Experimentierfeld für Liquid Democracy, also für netzbasierte und vernetzte Demokratie dient.
Andere Stimmen zum Thema
- Netzpolitik im schwarz-gelben Zeitalter (Stereopoly)
- Klare Fronten: Schwarz-Gelb (Netzpolitik)
- Schwarz-Gelb: Gute Perspektiven für die Wirtschaft? (bwl zwei null)
Wegen der Taten der schwarz-gelben Koalition und der spannenden Frage, was aus den Wahlversprechen der FDP wird, wird der Koalitionsvertrag der erst messbare Schritt sein, den man entlang der im Wahlkampf geäußerten Veränderungswünsche und Forderungen validieren kann. Die engagierten Netzbürger - also die Piraten im Geiste, die nicht unbedingt deren Parteigänger sein müssen - werden die Chance haben, ihre aktuelle Politisierung in einem permanenten Prozess des Politiküberwachung (Pol-watch auf neu-deutsch :-)) zu manifestieren. Dies wird ein wichtiger Schritt sein, in dem man/wir lernen, auch mit Enttäuschungen und Verarsche fertig zu werden, ohne demotiviert die Flinte in Korn zu werfen. Denn bis zur liquid democracy, fürchte ich, dauert es noch einige Jahrzehnte. Und bis dahin braucht man ja was zum üben und in-Form-bleiben :-) Ob die Piraten dabei eine eigenständige Partei werden oder ob deren Ideen in die etablierten Parteien einsickern, ist für mich zweitrangig.
Danke für das heutige Buzzword; ich werd's auf meinem Bingo-Blatt vermerken…
Eine Sache, die sich durch die Geschichte menschlicher Gesellschaften zu ziehen scheint, ist, dass Macht gern an einzelne Personen vergeben wird.
Häuptlinge, Fürsten, Könige, neuerdings Abgeordnete. Der "Amtsbonus" für Amtsinhaber zeigt, dass die Menschen gerne explizit bekannte Personen wählen.
Irgendwelche Gremien oder Räte werden hingegen weniger gern gewählt oder an der Macht gesehen, und sogar in kommunistischen Zentralkommitees, Kommunen und Brigaden gab es immer einen Vorsitzenden, starken Mann, Chef, Wortführer.
Kaum vorstellbar also, dass die menschliche Neigung nach der Identifikation mit einer Führungsperson in naher Zukunft nachlässt, und der moderne Mensch statt bekannter Persönlichkeiten unbekannte Kompetenzträger oder gar Sparten-Kompetenz-Flashmobs wählt.
Die klassischen Parteien, die die Meinung ihrer Mitglieder aggregieren und amplifizieren und mit der Schlagkraft einer eng vernetzten, teils verschworenen Gemeinschaft und einer effizienten, flaschen, aber hierarchischen Organisation vertreten, werden durch die locker vernetzten und auf Projekt-Basis operierenden Flüssig-Demokraten nicht ersetzt werden.
Was jetzt (und sowieso immer) ratsam ist ist, Mitglied einer Partei zu werden, anstatt als flüssig-demokratische Amöbe darauf zu warten, dass der Evolutionsvorteil der Mehrzeller von Zaubererhand aufgehoben wird.
Peter
Hallo Peter,
Und weil es angeblich immer so war, wird es angeblich immer so bleiben. Konservatismus in Reinkultur ;-)
Wenn die Leute so was brauchen, sollen sie halt DSDS und dergleichen veranstalten. Aber daraus kann man doch nicht einfach ableiten, dass auch die gesellschaftliche Gestaltung durch Leithammel erfolgen muss. Tut sie ja auch gar nicht. Nicht die Rampensauen machen die Gesetze, sondern ein Heer von unbekannten Beamten dahinter. Alles, was ich mir wünsche, ist, dieses Prozedere aus den blackbox-artigen Ministerienbunkern in ein für alle transparentes und beeinflussbares Prozedere überführt wird.
Sicher nicht von heute auf morgen. Aber es hat sie nicht immer gegeben, also warum sollte es sie immer geben? - mal ganz unkonservativ gefragt. Fakt ist, dass schon heute viele der Leute in deinem Alter viel, viel weniger mit klassischer Kaderbindung anfangen können als frühere Generationen. Aber OK, das sollte ich nicht besser wissen als du ;-)
viele Grüße
Stefan Münz
Ich kann Dir nur empfehlen, mal Kommunalpolitik zu machen, dann lernst Du vielleicht, dass verschiedene Interessengruppen eine transparente und offene Diskussion von Dingen schon auf Kreisebene unmöglich machen können.
Ich glaube auch, es ist besser, dass Parteien, bestehend aus Leuten mit ähnlicher Meinung, zunächst intern Ideen formulieren und zuspitzen, und diese erst dann öffentlich diskutiert werden.
Wenn jedes Thema sofort mit allen diskutiert würde, würde womöglich immer nur Einheitsbrei und Stillstand herauskommen.
Die Grünen hätten keinen Atomausstieg gefordert und durchgesetzt, sondern die Mehrheit in der transparenten Diskussionmasse hätte diese Idee schon im Anfangsstadium plattgemacht… glaube ich.
Moin,
in Ergänzung zu dem was Stefan sagte: Du argumentierst mit ein wenig holzschnittartig; es geht nicht um ein entweder/oder.
Liquid Democracy ist in meinen Augen kein Ersatz bisheriger repräsentativer Demokratieformen sondern eine Ergänzung, ähnlich wie Volksabstimmungen - nur flexibler.
Der Wähler kann bei jeder Abstimmung entscheiden, ob er den gewählten Vertreter abstimmen lässt oder die Entscheidung an sich zieht. Wmn das Mitentscheiden also (intellektuell oder zeitlich) überfordert, kann so passiv wie bisher den Prozess begleiten und sein Engagement auf die Hauptwahlakt bechränken.
Ich glaube, dass wir den Wähler nicht unterschätzen dürfen, im Gegenteil: die Einschränkung auf "alle 4 oder 5 Jahre, aber ansonsten machen die ja eh, was sie wollen" trägt sicher zur verbreiteten Demokratiemüdigkeit mit bei. Es geht aber auch anders und "komplizierter": Angebote zum Kumulieren oder Panaschieren sind ja auf kommunaler Ebene durchaus verbreitet.
Apropos Panaschieren: Nicht nur mich stört schon seit längerem, dass ich Parteien als ein zu grobes Muster für meine Wahlentscheidung empfinde. Ein panaschieren nach Themenblöcken halte ich für z.B. das Mindeste bei der Weiterentwicklung des Wahlaktes.
Gruß
Swen
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