Hassmartin und das Social Netmobbing

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Dass das Internet in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sieht man auch daran, dass die gleichen digitalen Mechanismen, die einerseits Politiker entlarven und Staatsmächte unterwandern, andererseits auch dumpfem, stupidem Hass dienen. „Hassmartin“ hat sie ihn getauft, die Meute, die am vergangenen Samstagabend vagabundierend durch die sozialen Netzwerke zog, um ihr Mütchen an einem Kandidaten der TV-Show „Schlag den Raab“ zu kühlen, der nicht so recht ins Kuschelweltbild passte.

Der Artikel Massen-Mobbing: die hässliche Fratze von Social Media am Beispiel #hassmartin von Philipp Ostrop fasst die Ereignisse gut zusammen. Noch während „Schlag den Raab“ lief, widmeten sich offenbar tausende von Zuschauern lieber íhren Computermonitoren, twitterten sich in einen gepflegten Hass gegen den krampfhaft ehrgeizigen und etwas hochmütigen Spielgegner von Raab hinein, schufen das Twitter-Hashtag #Hassmartin binnen ein, zwei Stunden (#Zensursula hatte wesentlich länger gebraucht), gründeten Schimpf- und Schandegruppen bei Facebook und StudiVZ, müllten das Pro7-Forum voll und hinterließen allerlei andere Spuren von digitaler Lynchjustiz.

Auch die große Presse hat sich längst des Themas angenommen: Stefan Raab hätte "Hass-Martin" schützen müssen, meint die WELT-Online, und die Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau sieht in dem Vorfall einen sozialen Versionenhub mit dem Titel Ertrunken im Web 2.1.

Nun ist es in diesem Fall noch so, dass die Zielperson des kollektiven digitalen Kurzmessage-Hasses für alle zeitgleich über die Fernsehmonitore zu sehen war, was den Effekt sicherlich begünstigte. Doch die Geschehnisse lassen sich leicht auf andere Situationen übertragen. Und darin liegt das, was den Fall überhaupt bedenkenswert macht. Digitales Verabreden zum Zwecke des Niedermachens ist leicht, das haben jetzt selbst die Unterschichten der Netzbevölkerung begriffen — und werden es ab nun möglicherweise verstärkt einsetzen. Aus dem Hassmartin-Fall könnte schnell ein Hassmartin-Phänomen werden.

Die nächsten Opfer könnten keine exponierten Personen wie ein taffer Spielshow-Kandidat vor Millionenpublikum sein, sondern Phillip, Hannah, Özgür und Yasmin, aus der 8a oder der 9b. Vielleicht, weil ihre Eltern bei C+A einkaufen, vielleicht, weil sie ein Rollenspielgeheimnis verraten haben, oder „einfach so“. Zuerst tun sich eine Handvoll Mobber zusammen. Sie mobilisieren große Teile der Klasse, der Parallelklassen, der Schule in den einschlägigen Networks, in SchülerVZ oder wer-kennt-wen. Dort ein paar Hassgruppen gründen, und schnell finden sich Freunde von Freundesfreunden. „Lukas ist der Gruppe Tatjana-Schlampe beigetreten. Tritt auch bei!“. Stundenlang brüten die Freunde des Hasses darüber, was sie sonst noch tun könnten. Zum Beispiel Fake-Accounts der Zielperson anlegen, bei StudiVZ oder Xing, damit deren späteres Leben auch gleich versaut ist.

Social Netmobbing ist übrigens nur ein neuer Ausdruck für den bereits etablierteren Ausdruck Cyber-Mobbing. Das Präfix Cyber- hat allerdings ausgedient. Was vor zehn Jahren noch als meist kalt-metallisch visualisierter Cyberspace bezeichnet wurde, ist längst das neue, schnuckelige Wohnzimmer der jüngeren Generationen geworden. Das Netz ist nicht mehr virtuell, es ist real. Der Ausdruck Social Netmobbing lehnt sich an Social Networking an und lässt deshalb eher das konkrete technische Potenzial erahnen, dass den Hassführenden in diesen Räumen zur Verfügung steht.

Das Problem selbst ist kein digitales, sondern ein gesellschaftliches. Es existiert auch außerhalb des Netzes, und es ist begrifflich so alt wie das Internet selbst. 1969 verwendete der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann den Ausdruck Mobbing erstmals für ein bekanntes Phänomen der menschlichen Gesellschaft, nachdem der Tierforscher Konrad Lorenz einige Jahre zuvor den Ausdruck für kollektive Angriffe von Tieren auf ein überlegenes, feindliches Tier eingeführt hatte. Das Netz bietet jedoch bislang ungeahnte Dimensionen und ein großes Arsenal neuartiger Methoden für Menschen, die sich zu dem Zweck zusammenrotten, einen bestimmten anderen Menschen gemeinsam fertig zu machen.

Das scheinbar grenzenlose Netz kann nämlich sehr schnell sehr eng werden, da es darin wichtige, begrenzte Ressourcen wie Real Names gibt. Und der grenzenlose Raum im Netz wird dadurch konterkariert, dass es kein Vergessen mehr gibt, weil alles leicht auffindbar gespeichert bleibt. Immerhin: Mobbing könnte nicht nur Folgen für Zielpersonen haben, sondern auch für Akteure. Vielleicht ist dies die sogar größte Chance gegen ein Ausufern des Hassmartin-Phänomens: die vielen Spuren der Meute, genauer, ihrer einzelnen Mitglieder. Mobbing-Denkmale könnten entstehen, mit den realen Namen aller, die meinten, sich unter einer digitalen Glocke von Hass verstecken zu können. Mit Kommentarmöglichkeit natürlich. Der gläserne Mob.

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