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In diesem Beitrag geht es um Leichte Sprache. Der Beitrag beginnt auch selbst in Leichter Sprache. Das ist gar nicht so einfach. Der Autor ist nämlich nicht vertraut mit Leichter Sprache. Auch wenn der Autor schon viele Handbücher geschrieben hat. Die Sprache in Handbüchern soll einfach sein. Hier wollen wir Fragen zur Leichten Sprache klären:
- Worum geht es bei Leichter Sprache?
- Wer bestimmt, was Leichte Sprache ist?
- Was gibt es alles in Leichter Sprache?
- Kann man alles in Leichter Sprache sagen?
Kerstin Probiesch (bei Twitter) hat die Idee zu diesem Beitrag geliefert. Kerstin macht die Seite barrierefreie-informationskultur.de. In Twitter hat sie auf Mensch zuerst verwiesen. Das ist ein Verein, der sich für Leichte Sprache einsetzt. Der Verein macht auch die Regeln für Leichte Sprache. Lesen wir, was der Verein schreibt:
Wir von Mensch zuerst sind Mitglied im Netzwerk Leichte Sprache.
Das ist eine Arbeits-Gruppe.
Das Netzwerk Leichte Sprache macht Regeln für Leichte Sprache.
Die wichtigsten Regeln für Leichte Sprache sind:
- kurze Sätze
- nur eine Aussage pro Satz
- wenn möglich keine Fremdwörter und Fachwörter
- schwierige Wörter werden erklärt
- Abkürzungen werden beim ersten mal ausgeschrieben
- wenn möglich keine Konjunktive
- Bezüge auf andere Wörter eindeutig sein
- wenn möglich in der Gegenwart reden
- kurze Absätze
- Texte auflockern durch Listen
- Texte ergänzen durch Bilder, Filme oder Tonaufnahmen
- Gut lesbsare Schriften
- keine Kindersprache
Der Verein Mensch zuerst hat eine Liste mit Inhalten in Leichter Sprache zusammengestellt. Die Liste enthält Bücher, Hefte und Internetseiten. Eine Internetseite in Leichter Sprache ist zum Beispiel die Seite der Bundesvereinigung für Lebenshilfe.
Es gibt auch einen Wikipedia-Artikel über Leichte Sprache. Und dort findet sich ein Zitat, das für etwas Entkrampfung sorgt:
Vorrangig wird leichte Sprache für Menschen mit geringen sprachlichen Fähigkeiten verwendet. Einfache Sprache ist jedoch auch eine Forderung für die verständliche Darstellung wissenschaftlicher Inhalte. Die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) fordert in diesem Sinne: „Für jegliche Inhalte ist die klarste und einfachste Sprache zu verwenden, die angemessen ist.“
Letztlich muss man wohl unterscheiden zwischen Inhalten, die speziell für die Zielgruppe „Menschen mit deutlich unterdurchschnittlichen sprachlichen Fähigkeiten“ erstellt werden, und solchen, die einfach „allgemeinverständlich“ sind. Auch wer Fachtexte schreibt, kann sich um Allgemeinverständlichkeit bemühen. Denn Allgemeinverständlichkeit ist keine gebratene Taube, die Lesern in den Mund fliegt, sondern eine unauffällige Rücksichtnahme gegenüber Nichteingeweihten.
Womit auch dem Autor dieses Beitrags das Schreiben wieder leichter fällt als zu Beginn. Denn Leichte Sprache, so hat der kleine Selbstversuch gezeigt, ist verdammt schwierig zu erzeugen. Fast alles, was man sich sonst sprachlich gönnt, ist bei konsequenter Anwendung von Leichter Sprache verboten. Absätze wie dieser hier verstoßen bereits gegen alle Regeln der Leichten Sprache. Womit wir bei der Frage wären: Kann man alles in Leichter Sprache sagen?
Man kann sehr viele Inhalte in Leichte Sprache übertragen, aber alle wohl nicht. So gibt es beispielsweise die Broschüre Wie man wählt: die Bundestagswahl in Leichter Sprache. Doch eine Auseinandersetzung mit einem politischen SPIEGEL-Online-Artikel in Leichter Sprache? Das wäre so, wie beim Hundertmeterlauf mit Tauchanzug und Schwimmflossen anzutreten. Andererseits sollen Menschen, die in Leichter Sprache erfahren, wie sie wählen können, auch an der Meinungsbildung teilnehmen, wen sie wählen wollen. Wenn das auf direktem Wege (wie durch SPIEGEL-Online-Artikel und Reaktionen darauf) nicht möglich ist, muss es zusammenfassend und vereinfachend vermittelt werden.
Was vermittelt wird, geht durch ein Medium. Leichte Sprache ist also eigentlich ein eigenes Medium. Ein Medium, das auf anderen Medien wie Internet, Print usw. aufsetzt. Ein Medium, das bestimmte Zwecke erfüllt und bestimmte Techniken verlangt. Diese Techniken werden nicht mit Hilfe von Physik beschrieben, auch nicht mit Hilfe von Programmiersprachen, sondern mit Hilfe der Sprachwissenschaft. Mit diesem Medium souverän umgehen zu können, verlangt Übung, Wissen und Können. Was noch fehlt, ist das allgemeine Bewusstsein dafür, messbar etwa an einem beruflichen Lehrgang wie „Mediendesigner für Leichte Sprache“, und natürlich an der Anzahl verfügbarer Inhalte in Leichter Sprache.
Ich hatte immer schon den Anspruch, gut verständlich zu schreiben. Extrem verschachtelte Sätze, Fachwortgewitter, Bezüge auf Autoritäten, die "man" kennen muss etc. sind mir suspekt. Ich interpretiere sowas meist als Versuch, sich mangels beeindruckender Inhalte wenigstens in der Form deutlich über die ungebildete Masse zu erheben.
Das heißt aber nicht, dass dem Leser keinerlei Anstrengung abverlangt werden darf. Die Aufmerksamkeitsspanne sollte durchaus einen langen Satz bewältigen können - auch einen, der nicht mit dem Subjekt beginnt. "Leichte Sprache" ist genauso anstrengend zu schreiben und genauso öde zu lesen wie gängiges Marketing-Blabla. Ich denke nicht im Traum daran, meine Ausdrucksfähigkeit so zu verstümmeln, wie es diejenigen propagieren, die alle Welt mit Texten fürs Niveau geistiger Behinderung beglücken wollen.
Wie überall gilt: die Sprache ist der jeweiligen Zielgruppe anzupassen, wenn man ihr etwas vermitteln oder verkaufen will, bzw. Offizielles zu verlautbaren hat. Und natürlich sind alle Ämter und Behörden, Firmen und Institutionen in der Pflicht, ihre Anträge, Formulare und andere Text-Monster möglichst in VERSTÄNDLICHER SPRACHE heraus zu geben - da ist noch eine Menge zu tun.
Aber solange ich "einfach so" schreibe, entstehen Texte, wie sie eben kommen: ich schreibe nur mit, was der "innere Schreiber" mir vorflüstert - und am besten wird es, wenn möglichst wenig Scheren und Zensoren im Kopf daran herum docktern. Da werde ich den Teufel tun und die Sprache weiter mutwillig nach unten nivellieren, wohin der allgemeine Ausdruck ja sowieso tendiert: Scannen statt lesen, kurze Sätze, Listen statt Absätze, damit das Auge sich in der Buchstabenwüste nicht so langweilt - und immer wieder eine unterhaltsame Zwischenüberschrift, klar!
Nolens volens passt man sich im Web tendenziell dieser Schlicht-Schreibe an, packt auch noch klare Keywords in die Überschrift, da das Gefunden-werden wichtiger ist als eine Headline, die neugierig macht. Im ersten Satz dann am besten gleich zum Punkt kommen, denn wer weiß schon, ob der Leser noch einen zweiten verkraftet?? Ist ja so anstrengend, sind so viele Wörter..
Na, du merkst, ich könnt' mich da aufregen - lass es aber bleiben und schreibe weiter, wie es kommt. Auch mal richtig lange Sätze! Schließlich will ich durchaus Leser anziehen, die zu solch vertieften Geistesleistungen noch fähig, willens und in der Lage sind - es könnten Freunde werden! :-)
Hallo Claudia,
schön, dass du die Diskussion mal hierhin verlagerst. Die anderen 9 Reaktionen auf den Blog-Eintrag stehen leider in Facebook. Aber vielleicht ist das ja kein Zufall: Die Miniatur-Böxchen, in denen Kommentare in Facebook stehen, sind kaum geeignet, um mehr als zwei Leichtsprechsätze aufzunehmen. Alles Weitere wird bereits mit einem [mehr]-Link ausgeblendet. Da wird man also schon von der Plattform genötigt, sich kurz zu fassen. Insofern folgt Facebook genau dem Trend, den du anprangerst.
Meine These im obigen Beitrag ist ja: Verständlichkeit ist eine Frage der lauteren Absichten beim Schreiben. Leichte Sprache ist dagegen eine Frage von Technik, also etwas, dessen Beherrschung man erlernen und bewusst anwenden muss. Ein verständlicher Text kann dem Leser durchaus abverlangen, genau zu lesen, um den Inhalt wirklich zu erfassen. Deshalb hat es m.E auch keinen Sinn, Regeln für verständliche Texte aufzustellen. Anders bei Leichter Sprache: dort kann ein explizites Regelwerk dafür sorgen, dass Leichte Sprache als solche messbar (im Idealfall sogar computertechnisch validierbar) wird. Das können sich dann alle Dokumente anstelle oder zusätzlich zum valid-(X)HTML-Sticker aufkleben.
Die Notwendigkeit für Dokumente in Leichter Sprache sehe ich sehr wohl. Allerdings wäre es lächerlich zu fordern, dass alles nur noch in Leichter Sprache geschrieben werden soll. Wir lesen ja auch an schicken Flatscreens und nicht mit Braille-Zeilen, nur aus Solidarität mit den Blinden. Ich denke, es ist schon viel erreicht, wenn z.B. jeder Website-Anbieter sich mal Gedanken macht, ob es eigene Inhalte gibt, die man zusätzlich und separat in Leichter Sprache anbieten kann. Bei vielen Websites könnte das beispielsweise einfach eine Zusammenfassung der Inhalte und Thesen sein, die dort zu finden sind. Noch besser wäre es, wenn es dafür auch HTML-Markup gäbe (hallo HTML5-WG - mitnotiert? *g*), was es Betroffenen letztlich erleichtern würde, in semantischen Suchmaschinen gezielt nach Inhalten in Leichter Sprache zu suchen.
viele Grüße
Stefan Münz
Hi Stefan,
dein Verweis auf die leider auf Facebook einlaufenden Kommentare erinnert mich daran, dass mir erst vor wenigen Tagen die "einfache Sprache" eingefallen ist, als ich nämlich mit einer Überschrift für einen Blog-Artikel liebäugelte, der da laute sollte "warum Facebook böse ist". :-)
Vielleicht schreib' ich ihn ja noch, mich nervt es auch ein wenig, dass ich zu meinen Tweets und Diary-Artikeln dort Kommentare bekomme: von recht lieben Menschen, die ich ungern enttäusche. Trotzdem nervt es, auch noch dort in die Minifensterchen schreiben zu sollen - meist verführt das Format ja eher zu Stimmfühlungslauten als zu ernsthaftem Austausch.
"Böse" ist Facebook, weil es nur nimmt und nicht gibt: die dortigen Inhalte stehen NICHT als anderswo einspeisbarer RSS-Feed zur Verfügung. Sie wollen kein Mega-Knoten im Netz sein, sondern das Zentrum - und das ist im Sinne einer multipolaren Netzstruktur, wie wir sie kennen und schätzen, "böse".
Hallo Claudia,
von mir schärfste Bitte, den Artikel vom bösen Facebook zu schreiben! Genau das ist es nämlich. Facebook ist closed, nicht open. Im Gegensatz zu Twitter und anderen Services. Kein RSS-Feed für draußen, nichts. Sie feiern ja schon, dass man sein Beiträge nun als öffentlich deklarieren kann. Aber vielleicht sollte ich auch einfach nur aufhören, dort meine Blogbeiträge zu posten. Facebook ist vielleicht wirklich nur für den Social-Talk zwischendurch.
viele Grüße
Stefan Münz
Es gibt das klassische Hamburger Verständlichkeitsmodell von Reinhard Tausch, Inghard Langer und Friedemann Schulz von Thun, das im Rahmen eines Forschungsprojekts "Textverständlichkeit" in den siebziger Jahren entstanden ist und auf die Analyse und Verbesserung von Texten abzielte. Es gibt dabei vier Merkmale eines Textes, die man berücksichtigen muss:
Oh Hilfe. Das kann ich nicht. Kurze Sätze? Da fehlt mir meistens die Zeit. Ich kann nur lange Sätze. Gerne mit vielen Kommas. Noch lieber mit Wortschöpfungen. Und am liebsten mit Klammerteilen. Oder "am aller allerliebsten". Wir Rheinländer dürfen ja alles steigern.
Dafür versuche ich anderes. Ich vergleiche komplizierte Dinge gerne mit Alltagsdingen. Oder Alltagssituationen. Immerhin.
Puh ist das anstrengend. Ich werde doch wieder komplizierter schreiben. Aber: in meinem Stadtteil versuche ich schon, einfacher zu sprechen. Immerhin! Nur in der Schrift will mir das nicht gelingen. obwohl manche sagen werden: im Stadtteil auch nicht. Wenn die wüßten.
Gleichwohl: wirklich spannendes Thema. Wir sitzen alle recht hoch. Und wähnen uns dabei sogar noch höher sitzend, als wir es in Wirklichkeit tun. Schreibt man tun? Egal. Ich schreibe "tun".
Jetzt habe ich immerhin eines wie immer gemacht: viel geschrieben.
Ach ja: gerne fordere ich in Fachforen: erklär es doch mal so, daß mein Sohn (7 Jahre) es versteht.
Schön, dass Du das Thema Leichte Sprache aufgreifst. Ich denke, dass wesentlich mehr in Leichte Sprache übersetzt werden kann, als man so denkt. Gute Beispiele sind die Übersetzungen verschiedener Dossiers bei 1000fragen.de. Übersetzt wurden dort unter anderem die Informationsmaterialien zu Bioethik und Pränatale Diagnostik.
@Claudia
Ich kenne niemanden, der verlangt, dass alle Texte grundsätzlich in Leichter Sprache geschrieben sein sollen. Die Forderungen nach Leichter Sprache richten sich vor allem an den Gesetzgeber. Es geht also vor allem um Gesetzestexte, Verordnungen, Schreiben von Ämtern, Verträge…Diese Texte sollten _auch_ in Leichter Sprache zur Verfügung stehen und nicht statt.
Es gibt außerdem einen Unterschied zwischen leichterer Sprache und Leichter Sprache. Leichtere Sprache geht in Richtung allgemeine Verständlichkeit. Texte in Leichter Sprache sind an Menschen mit Lernschwierigkeiten gerichtet und sind spezielle Texttypen.
Möchte in diesem Zusammenhang auf folgende Internetseite hinweisen: Wörterbuch für Leichte Sprache: www.hurraki.de
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