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Justizministerin Zypries verteidigt Web-Sperren, lautet an diesem Morgen eine Meldung im Heise Newsticker. Angesichts dessen ist es einfach Pflicht, noch einmal jenen Klassiker aus dem Deutschen Frühstücksfernsehen vom November 2007 zu zeigen, wo eben diese Dame auf die Kinderfrage, welche Browser sie kenne, nach einigem Stirnrunzeln mit der Gegenfrage antwortet: „Browser — was sind jetzt noch mal Browser?“
In der Heise-Meldung wird Zypries zum Thema Netzsperren wie folgt zitiert: „Es gibt eine Gruppe von Internet-Usern, die glaubt: Im Netz darf man alles, das Internet ist ein Ort unbegrenzter Freiheit, jede Regel verletzt unsere Identität. Das ist falsch: Meine Freiheit, mein Recht endet auch im Netz dort, wo sie die Freiheit und das Recht von anderen verletzt. Grundrechten wie der Meinungsfreiheit sind im Internet genauso Grenzen gesetzt wie in der realen Welt. Es gibt kein Recht des Stärkeren oder technisch Versierteren. Was offline verboten ist, ist auch online verboten. Das ist keine Zensur, sondern eine simple Erkenntnis, die auch juristischen Laien verständlich sein sollte.“
Ersichtlich ist dabei, dass sie die Phrase Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein diesmal verbal knapp aber halbwegs elegant umschifft hat. Das bedeutet, dass mittlerweile die Schmäh aus dem Internet wohl irgendwie auch bis in Ministerohren dringt, auch ganz ohne Browser. Und natürlich ist auch klar, dass Frau Zypries in den letzten eineinhalb Jahren dazu gelernt hat. Sicher könnte sie jetzt drei oder vier Browser aufzählen. Dafür weiß sie sicher noch nicht, was ein Proxy-Server ist, und dass so ein Ding genau das ermöglicht, was sie verhindern will: nämlich dass technisch Versiertere, „Stärkere“ ihre Netzsperren umgehen das bekommen, was für die anderen verhüllt und verboten ist.
Ebensowenig kennt Frau Zypries wohl den Ausdruck Netiquette, das ungeschriebene Gesetzbuch für Internet-User, das versucht, menschliche Kommunikation und Datentransfer im Netz zu regeln, bis endlich echte weltweite Verordnungen existieren, die das alles so halbwegs vernünftig regeln, wie es etwa im Straßenverkehr der Fall ist. Würde man Regelungen, die derzeit von deutschen Politikern fürs Internet geschaffen werden, auf den Straßenverkehr übertragen, so würde eine davon beispielsweise lauten: „an Kreuzungen müssen Fahrzeuge umkehren, da andernfalls Unfälle passieren können“. Also Regelungen, die jeden technisch halbwegs Versierten die Hand vor den Kopf schlagen lassen.
Vielleicht dringt ja auch der Vergleich zum Straßenverkehr bis in die Ohren der Ministerin. Denn da scheint sie sich ja ein wenig auszukennen, wenn man das, was sie laut Heise sagt, stimmt: „Ich kann doch mein Auto auch nicht unverschlossen auf der Straße stehen lassen und der Polizei sagen: Nun pass du mal auf!“ Was ihr indessen wiederum entgangen sein dürfte, ist die Tatsache, dass sich die Rechteverwertungsindustrie sehr wohl schon um digitale Lösungen bemüht hat. Allein, der böse, böse Internet-Markt frisst das einfach nicht …
Einen interessanten Blog-Artikel zum Weiterlesen bietet übrigens Rechtsanwalt Thomas Stadler unter dem Titel Zypries an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Ich weiß, daß ich jetzt freilich auch pawlisch reagiere, aber dennoch, ich schwenke eben auch nur mein Fähnchen wie alle anderen: solange die Internetgemeinde nur auf die Doofheit und Borniertheit der unwissenden verschwörerischen zusammenarbeitenden Wahlvolkfängergemeinde verweist, und nicht wenigstens ansatzsweise versucht, die grundlegenden Logiketten, die dann eben falsch "angefangen oder "falsch enden" in zwischenmenschlichem Sinne als für diese Personen wichtig und für diese Personen richtig zu akzeptieren, solange bleibt es nur ein Sandkastengematsche bei dem nichts rauskommt. Ein Dialog schon gar nicht.
Das beide Seiten sich da nichts "tun" ist mir klar.
Chräcker
PS. im übrigen irren zwei Seiten eh meist, wenn beide meinen, nur sie wissen, was richtig ist. Auch da tun sich beide Lager nicht sehr viel in ihrem Gehabe und abwertenden rumtrampeln. Jaja, meiner einer auch nicht ;-)
Hallo Chräcker,
du hast natürlich Recht, dass man, würde man den direkten Dialog zu einem Politiker suchen, mit polemischem Tonfall nicht gerade erfolgreich sein würde. Doch mein Blogartikel richtet sich nicht an Frau Zypries und ihre Kabinettskolleg(inn)en, sondern an Internet-User, die es weiterhin Prozent für Prozent aufzuklären gilt über die erschreckende Diskrepanz zwischen Verständnis für und Macht über das Netz, die bei vielen unserer derzeitigen Volksvertreter klafft.
viele Grüße
Stefan Münz
Diese "Aufklärungskamagne" darf also unter dem Niveau eines Dialoges sein? Mich verschreckt sie eher.
Gehen wir mal davon aus, daß es wirklich Leute gibt, die Teile, wenn nicht gar vieles, von den Politiker gedachten erst mal als "richtig" ansehen, und diese werden nun, kaum indirekt zu nennen, als "auf Deppen reinfallene Irrige" betwittert, beblogt… das soll nun überzeugen? Mich eher ja nicht. "Wie, Du hast dieselbe Meinung teilweise wie Frau Zyphris? kuck doch mal was, was für ein Volldeppin die ist, willst Du so sein? Ein Kugelschreibertyp?".
Dialog und Sachkompetenz sieht für mich anders aus. Freilich gibt es das auch, aber was hängen bleibt ist der Lärm, der hier karnevalartig der sich selbst feierenden Gemeinde herausschalt. Manche Leute können nicht mal mehr drei Meter laufen ohne gleich am Mobilgerät was Politikerhauendes ins Netz abzusetzen.
Das hat weder etwas mit Dialog suchen, Verständnis aufbringen, Positionen erst mal akzeptieren oder Aufklärungsarbeit für andere Internetuser zu tun. (zumal, wenn es die Internetgemeinde erstaunlicherweise und witzigerweise nicht so wahrnehmen will: wir sind hier immer weniger "unter uns". Wir werden wahrgenommen, da darf man sich auch mal um das "aussehen" kümmern.)
Das einzige was da "Überzeugungsarbeit" gibt ist das erschaffen eine
"huch, ich will kein Depp sein, ich will Netz-In sein, also schnell die Meinung mitzwitschern"-Atmosphäre,
die Frau Zyphris, auch freilich pauschalisierend, als Lebensgefühlsausdruck betitelt. Aber mehr wird auch kaum "in masse" hier nach aussen transportiert.
PS. huch, Antwort falsch eingehangen? Dickes sorry von mir *hust* - und das mir….
Hallo Chräcker,
Was hier im Netz der Karneval sich selber feiernder User ist, ist auf der anderen Seite das graumelierte, gepflegt herablassende Dreschen der immer gleichen Phrasen. Letzteres klingt scheinbar höflicher und sogar dialogbereiter, doch es ist nichts weiter als ein billiges Verschanzen hinter Worthülsen. Was bleibt denn da letztlich anderes, als mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen? Wer kann es Menschen, denen nicht zugehört wird, wenn sie vernünftig argumentieren, verdenken, wenn sie stattdessen nur noch bitteren Hohn versprühen?
Ja, man wird sich irgendwann wieder zusammenraufen und auf diplomatisches Nichtskaputmtachen achten müssen. Aber jetzt ist halt erst mal eine Phase, wo all unsere Argumente, Gründe und Vorführungen an dieser Politikerriege abgeprallt sind wie Wasser. Und wo eine neue Generation, die man bislang nur für bildschirmsüchtige, realitätsflüchtige Pickelgesichter gehalten hat, plötzlich entdeckt, dass auch sie eine Stimme haben, und dass auch sie Werte haben, für die sie zu kämpfen bereit sind.
Das sind nun mal geschichtliche Konflikte, die sich nicht allein in Ausschusssitzungen lösen lassen.
viele Grüße
Stefan Münz
Richtig. Da darf man also jetzt sagen: "ich sehe da keinen Unterschied". Wer sich nun unbedingt mit diesem Stil auf eine Stufe stellen mag… nun gut. Aber richtig peinlich wird es für mich, wenn man seine eigene Pöbelei als die richtigere hinstellt. Pöbeln bleibt pöbeln, ob grau meliert oder bunt kaschiert.
Weiter bringst freilich niemanden. Ich mag nur sagen: hört auf zu weinen. Zumal innerhalb des Netzes immer arg selbstverliebt geweint wurde. Man sollte sich doch nun genug gesagt haben, wie deppert die anderen sind und wie klug man selber ist.
"Wir" werden draussen wahrgenommen. Und zwar immer mehr genau so: jammernd weinend an unserem "Gedankenbesitzstand" festklammernd und sich elitär gegen die medienverblödeten Alt-Deppen da draussen abgrenzend. Eigentlich also kaum anders, wie wir die Politiker wahrnehmen.
Dabei mögen wir nicht grau meliert sein, aber alles in allem der Gegenseite doch sehr sehr ähnlich. Ich sehe da kaum Unterschiede, nur das die Netzseite persönlich beleidigender agiert, meiner bescheidenen Meinung nach.
Dieser Satz mag für viele ketzerisch klingen, aber genau so ist es. Wenn die anderen alle nur inkompetente Idioten zu sein scheinen, ja, wer macht sie denn dazu? Der, der es so sieht. Der Urteilende.
Ich nehme wahr: Sowohl die eine als auch die andere Seite (ver)urteilt wie verrückt. Das ist aber ganz normal und menschlich, das machen wir alle jeden Tag. Besonders dann, wenn Menschen aufeinander treffen, deren innere Überzeugungen völlig gegensätzlich sind und jeweils bei den anderen auf Resonanz stoßen. Mit Resonanz meine ich jede Reaktion, ob positiv oder negativ, sie ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit.
Und weil das so ist, ist es nun eigentlich für beide Seiten an der Zeit, innezuhalten und auf die Saiten zu gucken, die da so heftig am Schwingen sind (und zwar bei sich!). Derzeit verstärken sich die Amplituden ständig gegenseitig, was nur Getöse hervorbringt.
Klar, ich gehöre zur Netzgemeinde, ich habe die Online-Petition mitgezeichnet, ich fühle mich auch diffamiert und nicht ernst genommen seitens der Politiker. Als Mutter zweier halbwüchsiger Kinder auf die selbe Stufe schlimmer Pädophiler gestellt zu werden ist schon grotesk. Aber ich weiß auch, dass das nichts mit mir zu tun hat, sondern nur mit der Sichtweise der Gegner der Petition. Ich kann damit leben. Nicht ernst genommen zu werden kenne ich schon, das hat mich Zeit meines Lebens begleitet. Dann ist das halt so. Es heute gelassen sehen zu können, dafür habe ich hart gearbeitet.
Eine wichtige Erkenntnis ist, so banal sie auch klingen mag, ist, dass wir nicht die anderen ändern können. Wir können noch so sehr jammern und weinen über die Inkompetenz der uns Regierenden. Viel wichtiger ist doch die Frage: Was können wir denn an uns selbst ändern? Und nur da haben wir Einfluss drauf.
Chräcker hat doch schon den Finger in unsere "Wunde" gelegt. Ein Wort ist besonders bedeutend: "festklammernd". Wie wäre es denn mit "Loslassen"? Und zu überlegen, wie erreichen wir die da oben, die nicht mal wissen was ein Browser ist? Bestimmt nicht, indem wir sie in die Schublade "Internetausdrucker" packen. Zeit ist ein wichtiger Faktor bei umwälzenden Entwicklungen, und in einer solchen steckt doch unsere Gesellschaft gerade. Sowohl die eine als auch die andere Seite braucht Zeit, mit den Gegebenheiten klar zu kommen. Die technisch versiertere Seite könnte nun entscheiden, ihren schnellen Gang mal kurz zu unterbrechen, stehen zu bleiben, sich umzusehen und (jetzt bemühe ich mal ein ganz kitschiges Bild) sich wie eine Mutter, die auf ihr Kind wartet, diesem die Hand entgegen zu strecken. Denn wie sonst sollen "alte Kugelschreibermänner" mal eben zu "aktiven Webkompetenzlern" mutieren, wenn gerade die, die es ihnen beibringen könnten, sie in Grund und Boden verdammen?
Ich bin für einen konstruktiven Dialog. Doch dazu bedarf es bei beiden Seiten nun ein Innehalten. Wann sind wir bereit dazu?
Viele Grüße,
Kirsten
Hallo,
ergänzend zum Blogartikel und der interessanten Diskussion mit Chräcker, die sich daraus ergeben hat, möchte ich noch einen Artikel verlinken, der gerade heute in der TAZ erschienen ist, und der sehr gut zur Thematik und der Diskussion passt:
Netzaktivisten werden politisch
viele Grüße
Stefan Münz
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