Die Statusphäre - Thronfolgerin der Blogosphäre?

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Vor etwas über zwei Jahren, als die Idee zu "Webkompetenz" entstand, gab es das Web 2.0 auch schon. Trotzdem habe ich stark den Eindruck, als ob sich auch in diesen zwei Jahren schon wieder unglaublich viel verändert hat. Drehte sich damals noch alles ums Bloggen, so sind es heute Twitter und die neueren Social Networks, über die am meisten geredet wird. Neulich bin ich dafür auf den treffsicheren und zum Ausdruck "Blogosphäre" prima passenden Ausdruck "Statusphäre" gestoßen. Der Ausdruck selbst ist zumindest im Englischen wohl schon älter und bezeichnet dort laut Urban Dictionary die Welt der Schönen und Reichen rund um Hollywood. Mittlerweile wird er aber auch dort immer häufiger im Zusammenhang mit neueren Micro-News-Webanwendungen verwendet.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde bereits am 12.05.2009 im früheren Webkompetenz-Forum gepostet und wird hiermit ins Blog übernommen

Was damit gemeint ist, werden wohl alle, die täglich mit den Engabefeldern von Twitter, Facebook und Co. zu tun haben, sofort verstehen. Es sind spontane Mini-Statements, die man dort abgeben kann. Nichts, worüber man lange nachdenken muss. Entdeckt man einen interessanten Artikel, postet man schnell mal den Link mit einem kurzen Meinungskommentar dazu. Hat man sich gerade über irgendwas geärgert, etwa den Kundensupport eines Internetproviders oder die Verspätung bei der Bahn, kann man schnell eine kleine Wolke Dampf ablassen. Hat man ein Faible für Sprachspielereien und Wortschöpfungen, kann man seine neuesten Kreationen unkompliziert festhalten und mitteilen. Manche verwenden die Status-Mitteil- Anwendungen sogar für ihr persönliches Getting-Things-Done. Andere wiederum machen sich zu sogenannten Watchern (Beobachtern) eines bestimmten Themas und posten unentwegt alles, was sie dazu entdecken.

Und obwohl das alles erst mal sehr danach aussieht, als ob jeder einzelne einfach nur vor sich hinzwitschert, ohne Interesse für das Gezwitscher der anderen, so wird man, nachdem man sich erst mal näher darauf eingelassen hat, nach einer gewissen Zeit eines Besseren belehrt. Innerhalb der Statusphäre findet nicht nur ansatzweise, sondern sogar massenhaft und sehr vielfältig Kommunikation statt. Da wird gefragt und geantwortet, weitergesagt, argumentiert und gekontert.

Das alles ist nur nicht mehr „tiefgründig” im Sinne der abendländischen Diskurstradition. Abgesehen von ein paar genialen Aphorismen lässt sich halt kaum irgendwas „Elaboriertes” in 140 (Twitter) oder 420 (Facebook) Zeichen packen. Keine Chance für große Rhetorik, kein Platz für lange Begründungen. Es bleibt bei Argumenten (statt ganzen Theorien mit all ihrem Absolutheitsanspruch) und bei Beobachtungen (statt ganzer Lebenserfahrungen mit all ihrem bedrohlichen Besserwissen). Dadurch bleibt alles auf eine seltsame Weise freundlich. Die Teilnehmer sind weniger mit der Pflege von Verletzungen beschäftigt und haben dadurch mehr Zeit zum Weiterzwitschern. Im Ganzen betrachtet, erhöht sich die Produktivität beim Kommunizieren enorm.

Beim Bloggen ist das zumindest formal noch ganz anders. Dort ist noch Platz genug, um wortreich über Ansichtengegner herzuziehen und aus jedem Link ein Review mit aufgesetzter Richtermiene zu machen. Allerdings machen viele Blogger gar nicht mehr so viel Gebrauch von den unendlich vielen Zeichen, die ihnen beim Schreiben zur Verfügung stehen. Viele von ihnen hatten schon seit Jahren einen Hang zum reinen Statusmelden. Das ist wohl auch der Grund dafür, warum so manch ein Ex-Blogger heute lieber twittert.

Statusphäre und Blogosphäre laufen derzeit parallel, und um die etwas provokant gestellte Ausgangsfrage im Titel dieses Threads gleich selber zu beantworten: nein, ich glaube nicht, dass die Statusphäre die Blogosphäre oder andere Publikationsformen im Web verdrängen wird. Sie ist jedoch eine mächtige neue Sphäre, die genauso ernst genommen werden sollte wie die übrigen Sphären. Und die abendländische Diskurstradition wird um eine interessante, sehr produktive Kommunikationstechnik bereichert.

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