11 May 2013 21:39
SMV steht für „ständige Mitgliederversammlung“ und ist ein Konzept innerhalb der Piratenpartei, das für eine bessere Abstimmung zwischen Abgeordneten und Basis sorgen soll - eine Art beschlussfähiger Dauerparteitag, und zwar online. Eigentlich, sollte man meinen, für die Piraten die normalste Sache der Welt. Doch weit gefehlt - die Orangen tragen erbitterte Kämpfe deswegen aus. Marina Weisband hat beispielsweise ihr weiteres Engagement für die Partei davon abhängig gemacht, dass dieses Instrument eingeführt wird. Andere, wie der Parteivorsitzende Sebastian Nerz, argumentieren dagegen.
Der Zankapfel, um den es bei der Sache geht, hat mit einer „systembedingten Eigenschaft“ jeder Art von Online-Demokratie zu tun. Denn diese erfordert - zumindest der Software gegenüber - den Verzicht auf einen Grundpfeiler unseres heutigen Demokratieverständnisses: nämlich das Prinzip der geheimen Wahl. Multi-User-Webanwendungen, denen es nicht egal ist, welcher Benutzer was genau tut, benötigen immer irgend eine Art von Authentifizierung. Damit wissen sie aber auch immer, welcher Benutzer was genau tut. Und selbst wenn sie es selber so schnell wie möglich wieder vergessen möchten: in die Datensätze, die sie in ihre Datenbanken schreiben, müssen sie doch wieder die Benutzerzuordnung schreiben. Sonst könnten sie einem angemeldeten Benutzer nicht einmal auflisten, an welchen Abstimmungen er sich beteiligt hat, oder wie er sich bei der Abstimmung verhalten hat. Und Liquid-Democracy-Verfahren wie Delegated Voting, also das Delegieren der eigenen Stimme in einer bestimmten Abstimmung an eine andere Person oder Partei, die in dieser Frage die gewünschte eigene Position vertritt, wäre ebenfalls nicht möglich.
Kurzum: wer Online-Demokratie, Liquid Democracy und all das will, und sei es auch nur, um es erst mal innerhalb einer netz-affinen politischen Partei auszuprobieren, muss sich vom Prinzip der geheimen Wahl verabschieden. Für viele ist das aber gleichbedeutend mit einem Abschied von der Demokratie als solcher. Denn, so argumentieren sie, eine Wahl, bei der zumindest durch Auswertung von gespeicherten Daten herausfindbar ist, wer wie gewählt hat, verhindert mutige Opposition und individuelle Gewissensentscheidungen - also genau die Werte, die an Demokratien so geschätzt werden.
Letztlich müssen wir alle abwägen, wie bedingungslos wir auf dem Prinzip der geheimen Wahl beharren wollen, oder ob uns andere Dinge wichtiger sind - zum Beispiel echte Partizipation an beliebigen Entscheidungsverfahren mit Hilfe einer eigenen, frei einsetzbaren Stimme. Der Haken, um den es bei der SMV geht, und der Zankapfel, um den die Piraten da ringen, ist also alles andere als ein lächerlicher Streit in einer Kleinpartei, die von vielen immer noch nicht ernst genommen wird. Was die Piraten da austragen, ist der Kampf um das Demokratieverständnis angesichts der neuen technischen Möglichkeiten, demokratisches Abstimmen zu organisieren. Geopfert werden soll die geheime Wahl, und gewonnen werden soll damit das ständige Überallmitwählenkönnen.
Um eines noch mal zu klar zu stellen: es ist nicht so, dass zwangsweise am Bildschirm steht: „dies ist das Profil von Emma Müller aus Vorderzarten. Emma Müller hat bei folgenden Abstimmungen teilgenommen und dabei wie folgt abgestimmt“. Aber es ist so, dass die Software, die all das verwaltet, genau das weiß und speichert, und dass es genügt, wenn ein Administrator sein Gehalt aufbessern möchte, indem er gewünschte Datenbankexzerpte an Interessenten verkauft.
Der Graben, um den es bei dem von außen betrachtet scheinbar lächerlichen SMV-Gezänk geht, ist also in Wirklichkeit einer der tiefsten und am wenigsten reflektierten Gräben, die derzeit durch die Bevölkerung gehen. Er hat letztlich zahlreiche andere Aspekte, die vordergründig nichts mit Online-Demokratie zu tun haben. Der Klarnamenzwang in vielen Social Networks beispielsweise, oder die Debatten rund um Google Streetview. Die meisten Menschen fordern einen transparenten Staat, eine transparente Industrie, aber selber möchten sie geheim wählen und in höchstem Maße unidentifizierbar sein. Gerade die Piraten fordern gerne beides. Doch bei einer Online-Demokratie wird letztlich auch der Bürger transparent. Und genau deswegen sind die Auseinandersetzungen so heftig. Die Diskussion dreht sich also letztlich darum, ob unsere tradierten Vorstellungen von Demokratie und Privatsphärenschutz als erstrebens- und erhaltenswert oder als nicht mehr zeitgemäß und unlogisch zu bewerten sind.
Ein harter Brocken also, den die Piraten da verhandeln. Wer möchte, kann sofort an der Verhandlung teilnehmen. Aber nur unter den Bedingungen der Online-Demokratie: https://lqfb.piratenpartei.de/
Ich frage mich, inwieweit ein dezentrales Authentifizierungssystem, wie bspw. OpenId, nicht geeignet wäre, dieses Dilemma zu lösen.
Wenn die Authentifizierung ausgelagert ist und das Endsystem nicht mehr bekommen würde als eine "Ja/Nein"-Info darüber, dass der Anmelder Stimmberichtigt ist, würde viel geholfen sein. Zwar müsste auch im Endsystem ein eigener (interner) Login vorhanden sein, aber eine Verbindung mit den personenbezogenen Daten, die im Authentifizierungssystem liegen, würde nicht statt finden.
Oder nur insoweit, das der Benutzer selbst während der Authentifizierung zustimmt, welche Daten vom Authentifizierungssystem an das Endsystem weitergegeben werden dürfen.
Hans Carlos Hofmann hat offenbar ein Konzept erarbeitet, das in diese Richtung geht. Bleibt - abgesehen von der fachlichen Überprüfung - die Frage der Vermittelbarkeit von so was:
http://c-hofmann.blogspot.de/2012/09/wie-aus-ein-einer-partei-mit.html
Wenn keine Identitätsinformation übermittelt wird kann man mehrfach abstimmen. Ist aber auch schon spät…
Nö, das Zielsystem hat natürlich einen Token/einen internen Login, den es zuordnen kann. Natürlich wäre dann bei einem Einbruch in beide System eine Verküpfung denkbar. Aber auch dies Risiko kann verringert werden, wenn nach Ende der Abstimmungsfrist diese Verknüpfungen wieder gelöscht werden.
Wenn. Wenn man sich darauf verlassen muß, daß irgendwelche Daten schon wieder gelöscht werden, ist es nicht sicher. Und zwar in doppelter Hinsicht: Man kann nicht nachprüfen, ob jede eingegangene Stimme auch ordnungsgemäß abgegeben wurde (keine Wahlmanipulation, das Wahlcomputerproblem), und das individuelle Wahlgeheimnis ist ebensowenig sicher. Selbst wenn man hinterher alle Stimmabgaben mit anonymisierten Tokens transparent einsehen könnte: Woher will man dann wissen, ob fremde Tokens nicht einfach von einem Wahlfälschungsbot generiert sind? Und außerdem, woher will man wissen, ob die Identitätsinformation nicht irgendwie kryptographisch in die Tokens eincodiert ist? Das sind alles Probleme, wie man sie in der klassischen Urnenwahl im Wahllokal nicht hat, sofern dort der ganze Ablauf von Aufstellung der Urne bis Auszählung öffentlich kontrollierbar abläuft.
Man müßte ein hybrides System einführem, das es jedem Wahlberechtigten freistellt, ob er die Option der liquiden Online-Abstimmung nutzt oder zu derselben Abstimmung lieber ein Wahllokal mit Urne aufsucht (könnte z. B. die nächstgelegene Piratengeschäftsstelle sein). Um sicherzustellen, daß nicht doppelt abgestimmt wird, macht man es wie bei der Protokollierung der Briefwahl im herkömmlichen Verfahren. Das Dumme wäre daran immer noch, daß man sich als geheim Abstimmender, der ja auch hätte offen abstimmen können, immer noch verdächtig macht. Gerade bei gewissen Sachthemen, bei denen der Wunsch nach geheimer Stimmabgabe auf der Hand liegt, kann das unangenehm sein, wenn es eigentlich nur einen Grund geben kann, die geheime Option zu wählen, und die Geheimhaltung damit irgendwie ad absurdum geführt wird. Da es allerdings, wie man auf dem gerade vergangenen Parteitag sehen konnte, ohnehin auch viele Menschen gibt, die prinzipiell die geheime Wahl bevorzugen, wäre solchen Verdächtigungen zumindest bei den Leuten weitgehend die Grundlage entzogen, die auch sonst meistens die geheime Option wählen (ansonsten könnte man sich fragen, warum sie ausgerechnet bei dieser einen Frage abweichend geheim anstatt wie sonst immer liquid abstimmen). Das wäre dann ähnlich wie mit dem Datenschutz: Niemand soll mich daran hindern dürfen, meine persönlichen Daten an die Öffentlichkeit zu tragen, wenn ich mich bewußt dazu entschieden habe. Aber wenn ich das nicht möchte, darf ich mich auch nicht dafür rechtfertigen müssen, ob ich etwas zu verbergen habe, und ich muß beliebig anonym unterwegs sein dürfen.
Eigentlich keine schlechte Idee, dieses hybride System mit ordentlicher geheimer Abstimmung via nächstgelegener Piratengeschäftsstelle. Ist aber auch nur so lange geheim, wie mindestens zwei Leute ihre Kreuze machen. Wenns nur einer tut, ist er enttarnt :-)
Und dann bleibt noch die Frage, ob es bei den Geschäftsstellen rund um die Uhr so ist, dass jegliche Manipulation jederzeit ausschließbar ist. Woraus sich ergibt: Paranoia ist einfach formulierbar. Aber sie lässt sich auf alles anwenden, auch auf bestehende Wahlsysteme oder nicht-elektronische Wahlalternativen. Auch Stimmzettelauswertung bietet potentielle Angriffsflächen für bösartige Manipulationsversuche. Und wie oft müssen bei sehr knappen Wahlausgängen Stimmen nochmals ausgezählt werden? Möge mir niemand erzählen, Papier und Wahlhelfer böten eine Sicherheit, die kein elektronisches System bieten kann.
Ist es wirklich die Angst vor potentieller elektronischer Manipulation, die etwas mehr als ein Drittel der Piraten bewegt, elektronisch verbindliche Abstimmungen anzuerkennen, oder ist es eher der im Artikel
angesprochene Aspekt der geheimen Wahl (Argumentation der freien, nicht irgendwie erpressten Gewissensentscheidung)?
Beim Thema geheime Wahl sehe ich in der Tat noch Diskussionsbedarf - das scheint mir noch nicht wirklich so oft und intensiv reflektiert worden zu sein. Aber Panik vor der Manipulierbarkeit elektronischer Systeme ist wie Panik vor dem Leben. Es gibt weder absolut sichere Computersysteme, noch 100%ig unmanipulierbare Wahlen (egal mit welchen Verfahren sie durchgeführt werden).
Selbst wenn nur zwei Leute an einer Abstimmung teilnehmen, ist der Inhalt der Stimmen nicht mehr geheim, da zumindest beide Teilnehmer am Ergebnis erkennen können, wie der andere gestimmt hat.
Das ist aber ein totaler Edge Case, der theoretisch auch bei altbekannten Wahlverfahren wie etwa bei der Bundestagswahl vorkommen kann. Wenn man das unterbinden möchte, kann man auch die Regel einführen, daß eine Auszählung erst ab mindestens drei Stimmabgaben vorgenommen wird, ansonsten werden die Umschläge ungeöffnet vernichtet. Natürlich müßte man darauf achten, daß die Wahlbezirke nicht zu kleinteilig ausfallen, damit schon immer genug Teilnehmer zusammenkommen. Man könnte auch die lokalen Wahlorganisatoren verpflichten, ihre Stimmen per Urnenwahl abzugeben, so daß eine gewisse Mindestzahl von Stimmzetteln immer zusammenkommt (falls sie gerne delegiert hätten, müßten sie halt vorher nachschauen, wie ihr Wunschdelegierter abstimmt, um sich daran zu orientieren).
Doch, Stefan, ich erzähle Dir explizit: Papier und Wahlhelfer bieten eine Sicherheit, die kein elektronisches System bieten kann. Bei einer gewöhnlichen Urnenwahl kann jeder Bürger sich den ganzen Tag ins Wahllokal setzen und überwachen, was dort vor sich geht. Und das auch ohne fortgeschrittene IT- und Kryptographiekenntnisse nachvollziehen. Ich habe selber schon ein paar solcher Wahlen als Wahlvorsteher durchgeführt. Man darf keinem Zuschauer die Beobachtung verwehren, solange er nicht störend eingreift. Bevor die Wahlurne aufgestellt wird, zeigt man allen Anwesenden, daß sie leer ist. Jeder kann sich davon überzeugen. Die vorläufige Auszählung nach Wahlende ist immer noch öffentlich und somit für jeden beobachtbar. Sobald diese Auszählung vor Ort anscheinend fehlerfrei erfolgt ist, werden die Stimmzettel wieder in die Urne gesteckt und diese verplombt. Bei etwaigen Zweifeln kann alles nochmal von anderen Instanzen nachgezählt werden (mindestens eine weitere Auszählung fürs amtliche Endergebnis erfolgt auf jeden Fall — Abweichungen von der vorläufigen Auszählung sind für jeden Beobachter erkennbar). Wahlmanipulation ist bei diesem System sehr schwer durchzuführen, zumal sie über viele Wahllokale koordiniert stattfinden muß, um unauffällig und trotzdem entscheidend wirksam zu sein. Das ginge elektronisch viel einfacher. Das einzige, was mir als Wahlvorsteher ungünstig auffiel, war der Umstand, daß die Wahlurne aus Holz war. Besser wäre ein Gefäß aus Acrylglas, das wie eine Lostrommel den Inhalt regelmäßig umpflügt. Aber ist ja nicht schwer zu bauen, sowas, könnten die Piraten gleich mal so machen.
Die Skepis wegen Manipulierbarkeit elektronischer Systeme ist prinzipiell völlig angemessen. Man muß sich nur mal anschauen, was mit Wahlcomputern in den USA los ist, um Alpträume zu bekommen. Abstimmungen sind elektronisch nur überprüfbar durchzuführen, wenn die Stimmabgabe letztlich nicht anonym erfolgt. Paper Trails ergeben nur bei Wahlautomaten in Wahllokalen Sinn. Wenn so etwas jeder zu Hause ausdrucken würde, müßte man jedem eine authentifizierbare Vorlage dafür übers Internet zusenden, was wieder nicht sicher anonym realisierbar wäre. Die Aufgabe der sicheren Anonymität ist nun einmal der Preis, den man für ein elektronisch betriebenes liquides System bezahlen muß. Es muß jeder selbst entscheiden, ob er den Preis für gerechtfertigt hält. Diejenigen, die ihn gern zahlen würden, dürfen aber auch nicht daran gehindert werden es zu tun, genau wie jeder öffentlich die Meinung äußern dürfen muß, welche Partei oder welche Antwort auf irgendeine einzelne Sachfrage er für die richtige hält.
Gut ok, es ist auswertbar … ABER
Außer den Personenwahlen am Freitag ist auch der vergangene BPT prinzipiell auswertbar. Er wurde gestreamt, die Presse war da und es wurden reichlich Fotos gemacht. Theoretisch wäre es damit möglich nachzuvollziehen wer wann welche Stimmkarte gehoben hat. Damit wäre auch diese Wahl natürlich nicht mehr anonym.
Kurz um … Wad soll der Mist? Warum muss eine Satzungsänderung unbedingt anonym sein? Bei Personenwahlen seh ich das ja noch ein und da ist es auch gesetzlich vorgeschrieben. Ansonsten … läßt sich nicht der GO Punkt "GO Antrag auf geheime Abstimmung" einbauen? Solche Sachen müssten dann im Tool deaktiviert werden und zwingend auf dem nächsten Parteitag abgestimmt werden und dort natürlich geheim.
Ich sehe folgende Lösung:
Das System müssten für jede Wahl an jeden registrierten Benutzer zufällig generierte Tokens senden mit dem man wählen kann.
So wird sichergestellt dass
a) nur Registrierte wählen
b) jeder nur genau einmal wählen kann (sofern auch nur jeder ein Token erhält)
c) es ab einer genügend grossen Anzahl Registrierter fast unmöglich wird, herauszufinden wer wie stimmt (DIESE Problem wir von keinem Wahlsystem perfekt gelöst).
Sehr interessanter Eintrag auch wenn schon älter!
Die Piraten haben die Zeit zwar nicht wirklich überlebt aber Ich frage mich, wann es wieder eine ähnliche Bewegung geben könnte.
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